Böse Überraschung für SWG-Kunden - Stadtwerke: Korrektur nicht möglich

Einige Gießener haben von den Stadtwerken sehr hohe Gasrechnungen erhalten. Hintergrund ist ein kleiner Fehler. Nun sollen sie auf dem Schaden sitzenbleiben.
Gießen - Sarah Müller (Name geändert) war geschockt, als sie Anfang Mai auf das Familienkonto blickte. 1600 Euro fehlten, abgebucht wurde der Betrag von den Gießener Stadtwerken - für drei Monate Gas. »Wir dachten, es muss sich um einen Fehler handeln«, sagt die Gießenerin. Doch dem war nicht so. Die Erklärung fand sie versteckt auf einer hinteren Seite eines SWG-Schreibens.
Die Müllers sind nicht die einzigen SWG-Kunden, denen ein so hoher Betrag vom Konto abgebucht worden ist. In der Redaktion haben sich weitere Betroffene gemeldet. Was sie eint: Alle bezogen ihr Gas zuvor vom Billiganbieter »Grünwelt«, der seinen Kunden im Dezember von heute auf morgen gekündigt und die Gaslieferung eingestellt hatte. Das Unternehmen begründete den Schritt mit dem aus den Fugen geratenden Gasmarkt, eine Belieferung sei wegen der rasant gestiegenen Preise nicht mehr möglich.
Stadtwerke Gießen: 1600 statt 501 Euro für Gas bezahlt
Damit die Kunden nicht sprichwörtlich im Kalten sitzen, greift in solchen Fällen eine automatische Ersatzversorgung durch den Grundversorger, in Gießen die Stadtwerke. Für viele kommunale Dienstleister ist das nicht unbedingt ein Gewinn, da sie zusätzliches teures Gas an der Börse einkaufen müssen.
Mit der Aufnahme in die Ersatzversorgung ist natürlich ein bürokratischer Akt verbunden. Müller, die mit ihrem Ehemann und dem gemeinsamen Kleinkind in einer Vier-Zimmer-Wohnung lebt, wurde in einem mehrere Seiten langen Begrüßungsschreiben aufgefordert, in einem Rücksendeformular persönliche Daten anzugeben. Das tat die Familie auch. »Auf der ersten Seite stand ein Abschlag von 167 Euro pro Monat in einer gut sichtbaren Tabelle«, erzählt die Gießenerin. Was sie und ihr Mann jedoch übersahen: Auf der siebten Seite des Schreibens war am unteren Ende vermerkt, dass die Familie schriftlich bestätigen muss, dass sie Haushaltskunden sind. »Das haben wir übersehen«, sagt Müller. Und so buchten die Stadtwerke für die drei Monate nicht 501 Euro, sondern 1600 Euro ab.
Warum die Familie die hohe Rechnung nicht früher bemerkt hat? Ganz einfach, sagt Müller: »Die Rechnung für den Ersatzzeitraum kam nicht per Post, sondern in eine digitale Postbox, die wir bis dato noch nie benutzt hatten.« Die Müllers meldeten sich umgehend bei den Stadtwerken, um ihren Status in »Privathaushalt« ändern zu lassen. Auf eine rückwirkende Änderung für den Ersatzzeitraum wollen sich die Stadtwerke jedoch nicht einlassen.
Über 1000 Euro Mehrkosten: Stadtwerke Gießen will sich auf rückwirkende Änderung nicht einlassen
Die junge Familie soll nun auf den Mehrkosten von über 1000 Euro sitzen bleiben, obwohl sie nicht mehr Gas verbraucht hat als andere Haushaltskunden. »Die hohe Rechnung ist natürlich sehr ärgerlich für uns, aber unter Umständen fatal für Menschen mit geringerem Einkommen«, sagt Müller.
Ein anderer Gießener hat Ähnliches erlebt, auch er musste als vermeintlicher Gewerbekunde einen dreifach höheren Preis zahlen. »Für mich sieht das sehr nach bewusstem Vorgehen aus, sonst würde der entscheidende Passus nicht erst auf der letzten Seite zu finden sein, die in der Regel die wenigsten Menschen lesen«, sagt der Gießener und fügt an: »Das hätte ich von einem regionalen Energieversorger nicht erwartet.«
Auf Nachfrage dieser Zeitung erklärt Stadtwerke-Pressesprecher Uli Boos, warum die betroffenen Gießener als Firmenkunden eingestuft worden sind. »Bei Kunden mit einem Jahresverbrauch größer 10 000 Kilowattstunden ist für uns von außen nicht erkennbar, ob die Voraussetzungen für einen Haushaltskunden vorliegen. Deshalb fordern wir sämtliche Kunden, die in die Ersatzversorgung Gas fallen und die einen Jahresverbrauch größer als 10 000 Kilowattstunden haben, im Begrüßungsschreiben auf, uns bei der korrekten Tarifeinstufung zu unterstützen und Angaben zum Zweck ihres Gasverbrauchs zu machen.«
Die Tatsache, dass ausgerechnet 10 000 Kilowattstunden den Grenzwert bilden, sorgt bei dem einen oder anderen Gießener für Verwunderung. Schließlich geben die Stadtwerke selbst den durchschnittlichen Jahresverbrauch ihrer Kunden in den Musterrechnungen zu Preiserhöhungen mit 25 000 Kilowattstunden an. Allerdings sind die 10 000 Kilowattstunden nicht von den Gießener Stadtwerken gewählt, sondern im »Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung« so festgehalten.
Stadtwerke Gießen: Keine Korrektur möglich
Auch zur Art des Versands bezieht Boos Stellung: Mit dem Begrüßungsschreiben erhalte jeder Kunde alle relevanten Unterlagen, um sich im Onlineportal zu registrieren. Nach erfolgter Registrierung würden alle Unterlagen und Rechnungen an das Onlineportal gesendet. »Der Kunde hat diese Vorgehensweise aktiv selbst gewählt«, sagt Boos und betont, dass es sich bei dem gesamten Vorgang nicht um einen Fehler der Stadtwerke handele.
Eine Rückzahlung können die betroffenen Gießener also nicht erwarten. »Im Rahmen des von uns betriebenen Massenkundengeschäfts kommt eine nachträgliche Umstufung eines beendeten und abgerechneten Versorgungsverhältnisses in einen anderen Tarif nicht in Betracht«, sagt Boos. Falle einem Kunden erst mit Erhalt der Schlussrechnung über die Ersatzversorgung der Fehler auf, könne keine Korrektur erfolgen.
»Tatsächlich«, fügt Boos an, »leiten die meisten Kunden bereits nach ein paar Tagen ihren erneuten Wechsel zu einem neuen Lieferanten ein. Die finanziellen Auswirkungen einer vermeintlich falschen Eingruppierung dürften damit nach unserer Einschätzung sehr überschaubar sein.« Familie Müller dürfte das anders sehen. (Christoph Hoffmann)