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Stadtbahn Gießen: Mehr als eine Vision?

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Von: Burkhard Möller

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Gießen macht sich Gedanken über den Verkehr der Zukunft. Welche Rolle könnte eine »Stadtbahn« dabei spielen. Eine Bestandsaufnahme.

Kurz nach 14 Uhr am Bahnhaltepunkt Licher Straße: Immer mehr Menschen drängen sich auf dem Bahnsteig, am Ende dürften es um die 100 vorwiegend junge Leute sein, die auf den Zug der Vogelsbergbahn warten. Sie wollen aber nicht nach Reiskirchen oder Grünberg fahren, sondern zum Bahnhof. »Ich fahre doch nicht mit dem Bus, der braucht ewig«, sagt eine Studentin. Recht hat sie. Sie wird in drei Minuten am Bahnhof sein, mit der Stadtbuslinie 2 würde die Fahrt fast 20 Minuten dauern.

Es sind vor allem Studierende mit ihrem Semesterticket, die den Zug auf den innerstädtischen Streckenabschnitten wie eine S-Bahn nutzen. Am Bahnhaltepunkt Licher Straße fällt das besonders auf, weil große Unieinrichtungen in der Nähe sind. Die jungen Leute legen damit ein Mobilitätsverhalten an den Tag, das Marita Mang, Abteilungsleiterin im Hessischen Umweltministerium, vor knapp einem Jahr bei einer Veranstaltung in Gießen zum Thema Luftreinhaltung – Stichworte Stickoxid und Diesel-Fahrverbote – beschrieben hat. »Mit dem schienengebundenen Nahverkehr erzielt man die größten Umsteigeeffekte. Niemand steigt vom Auto auf den Bus um, wenn der dann auch im Stau steht«, sagte Mang.

Haltepunkte am Depot und Aulweg

Im Masterplan für eine »nachhaltige und emissionsfreie Mobilität« (Green City Plan), den Gießen im Sommer beim Bundesverkehrsministerium eingereicht hat, um zwecks Luftschadstoff-Reduzierung Zuschüsse für ein 26 Millionen Euro teures Maßnahmenbündel an Land zu ziehen, wird die Schiene aber mit keinem Wort erwähnt. Auch im Koalitionsvertrag, den SPD, CDU und Grüne im Sommer 2016 abgeschlossen haben, kommt das Verkehrsmittel Zug im Kapitel »Mobilität für alle« nicht vor.

Von der AfD-Fraktion wurden die Koalitionäre vor einigen Monaten daran erinnert, dass ein zusätzlicher Bahnhaltepunkt der Vogelsbergbahn am US-Depot, wo künftig bis zu 3000 Menschen arbeiten und wohnen werden, eine sinnvolle Sache sein könnte. Und die damalige Bürgermeisterin Gerda Weigel-Greilich (Grüne) war vor einigen Jahren weitsichtig genug und sicherte der Stadt bei der Planung des Baugebiets auf dem früheren RKH-Gelände an der Gleisgabel die Option auf einen Haltepunkt an der Vogelsberg- und Lahn-Kinzig-Bahn.

Spinnerei oder wirksames Konzept

Die Grünen waren diesbezüglich ihrer Zeit schon immer voraus. Im Juli 1992 beschloss der Stadtverband, dass ein Konzept für eine »Gießener Stadtbahn« erstellt werden soll; bestehende Bahnhaltepunkte sollten verknüpft, stillgelegte Haltepunkte und Strecken reaktiviert werden. »Den Prognosen, dass der motorisierte Individualverkehr noch weiter steigen soll, muss mit langfristigen, wirksamen Konzepten begegnet werden«, hieß es in einer Pressemitteilung. Die SPD indes, mit der die Grünen koalierte, tat die Idee als Spinnerei ab und wollte kein Geld für eine Machbarkeitsstudie herausrücken. »Jede Mark dafür ist rausgeschmissenes Geld«, schimpfte SPD-OB Manfred Mutz.

Umsonst geliefert hat ein Stadtbahn-Konzept nun die Projektwerkstatt Saasen, die mit der Regiotram die alte Gießener Straßenbahn aufleben lässt und mit neuen Haltepunkten an den bestehenden Bahnstrecken die Verkehrswende herbeiführen will. »Die bestehenden Verbindungen könnten gestärkt und eine Art Stadtbahn für Gießen geschaffen werden«, heißt es in dem Konzept, dessen Linienführung verblüffende Ähnlichkeit mit dem Nahverkehrsplan aus dem Jahr 1952 hat, als Straßenbahnen und elektrische »Obusse« im Einsatz waren.

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