Stadt Gießen führt »genderneutrale Sprache« ein
Die gendergerechte Sprache hat die Stadtverwaltung Gießen erreicht. Die Müllabfuhr sucht eine »Mülllader*in«, die »Geehrten Damen und Herren« haben ausgedient. Widerstand leistet der Bürgermeister.
Für die einen war die Zeit vor 20 Jahren die gute alte, für andere die unsensible und sexistische. Der Verfasser erinnert sich an eine Besichtigung des Stadtreinigungs- und Fuhramts im September 1998 durch den Umweltausschuss des Stadtparlaments. Beim Gang durch die Kfz-Werkstatt fielen die Blicke der Besuchergruppe zwangsläufig auf spärlich oder gänzlich unbekleidete Frauen, die als »Pin-up-Girls« reihenweise an den Wänden und Spinden hingen. Wie es heute in den Hallen an der Schlachthofstraße aussieht, wissen wir nicht, aber auf der Internetseite der Stadt ist diese zutiefst männliche Arbeitswelt längst überwunden.
In den Stellenausschreibungen ist aus dem Müllwerker die »Mülllader*in« geworden. Mit dieser Stellenanzeige schrieb das Haupt- und Personalamt am 2. März Gießener Gendergeschichte. Denn es ist die erste, die mit einem sogenannten Gendersternchen versehen wurde, nachdem die Stadt bereits vor geraumer Zeit in ihren Stellenanzeigen ein kleines »d« für divers eingeführt hatte, um auch das dritte Geschlecht abzubilden.
Eine faire und geschlechtergerechte Sprache gehört heute zu den Grundlagen einer modernen Verwaltung
Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz
Die zusätzliche Einführung der Gender-sternchens steht in Zusammenhang mit einem Rundschreiben der Oberbürgermeisterin von Mitte Februar, in dem die SPD-Rathauschefin Dietlind Grabe-Bolz den »Sehr geehrten Mitarbeiter*innen« Empfehlungen zur »geschlechtergerechten Sprache sowie Schreibweise« gab und um Änderungen im Schriftverkehr bat. Hintergrund ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Anerkennung des dritten Geschlechts. Mit der neuen Schreibweise werde dem Umstand Rechnung getragen, dass nicht mehr nur von einem »binären Geschlechtersystem ausgegangen werden kann, sondern auch Transgender- und intersexuelle Menschen explizit angesprochen werden sollen«, erklärte die Verwaltungschefin in ihrer schriftlichen »Hilfestellung«. Denn, so Grabe-Bolz: »Eine faire und geschlechtergerechte Sprache gehört heute zu den Grundlagen einer modernen Verwaltung.«
Das Rundschreiben enthält auch konkrete Vorschläge für die Ansprache. So sei die Formulierung »Sehr geehrte Damen und Herren« nur noch bedingt zu gebrauchen und könnte durch ein einfaches »Guten Tag« ersetzt werden. Sei die Zielgruppe bekannt, könnten die Damen und Herren durch das »Sehr geehrte Team der Muster GmbH!« abgelöst werden. Auch Formulierungen wie »Sehr geehrte Interessierte«, »Sehr geehrte Teilnehmende«, »Sehr geehrte Amtsleitungen« könnten Alternativen sein. Sei es nicht möglich, eine geschlechtsneutrale Formulierung zu finden, sollte der Genderstern zum Einsatz kommen, so wie bei »Liebe Kolleg*innen«, wo er auch maskulin ist.
Bei den Stellenausschreibungen, die neben der Geschlechterklammer (m/w/d) nun auch noch das Gendersternchen beinhalten, handelt das Haupt- und Personalamt nach dem Motto: Doppelt gemoppelt hält besser. Die Kreisverwaltung zum Beispiel verwendet entweder Klammer (m/w/d) oder Sternchen, das Regierungspräsidium verzichtet ganz auf den Stern.
Neidel unterstützt Petition gegen »Gender-Unfug«
Auf die Sternchen verzichten kann offenbar auch CDU-Bürgermeister Peter Neidel. Auf seiner privaten Facebook-Seite teilte Neidel vor einigen Tagen einen Beitrag des Vereins Deutsche Sprache (VDS), der derzeit mit einer Petition gegen den »Gender-Unfug« zu Felde zieht und fordert: »Schluss mit der Sprachverhunzung«. Auf GAZ-Anfrage, ob er mit seinem Post auch auf das Rundschreiben der Oberbürgermeisterin reagieren wollte, antwortete Neidel: »Das ist meine persönliche Meinung zu dem Thema.«
Der Verein Deutsche Sprache kritisiert, dass Formulierungen wie »Liebe Kolleg*innen« nicht geschlechtsneutral seien, sondern Männer diskriminierten. »Die Gender-Ideologie beseitigt keine Probleme, sondern schafft neue. Das Deutsche wird dadurch verkompliziert, verhunzt und im internationalen Wettbewerb der Sprachen geschwächt«, argumentiert der Verein.
Zu den Erstunterzeichnern der VDS-Petition gegen den »Gender-Unfug« gehören neben den Schriftstellerinnen Monika Maron, Angelika Klüssendorf und Sibylle Lewitscharoff unter anderem der Sprachkritiker Wolf Schneider, der Kabarettist Dieter Nuhr, der Fernseh-Journalist Peter Hahne und Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen.
Info
Gendersternchen
Das sogenannte »Gendersternchen« oder »Asterisk« kommt aus der Informatik und dient dort als Platzhalter für beliebig viele Varianten. Alternativ wird auch ein Unterstrich als »Gendergap« verwendet.