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Speicheltest statt Operation

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Von: Christoph Hoffmann

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Tarrin Taraki (l.) und Ramón Enríquez Schäfer vermarkten den Test in Deutschland. © Oliver Schepp

Bis zu 15 Prozent aller Frauen leiden unter Endometriose. Die Krankheit ist unheilbar, dennoch ist die Diagnose für viele Betroffene eine Erleichterung. Schließlich liefert sie Gewissheit nach oftmals langen Jahren Odyssee. Das Gießener Unternehmen Eluthia hat nun einen Test auf den Markt gebracht, der die Erkennung deutlich vereinfachen soll.

Migräne, Verdauungsprobleme, starke Unterleib- und Rückenschmerzen, Müdigkeit: Es gibt viele Frauen, die unter solchen Symptomen leiden. Und es gibt viele Krankheiten, die dafür verantwortlich sein können. Dass Endometriose der Auslöser dieser Leiden sein kann, ist nicht so leicht festzustellen. »Dafür ist eine Laparoskopie, ein minimalinvasiver Eingriff beim Gynäkologen nötig, also eine Operation unter Vollnarkose«, sagt Tarrin Taraki vom Gießener Unternehmen Eluthia. Doch das soll sich nun ändern. Das Bio-Tec-Start-up aus der Siemensstraße hat einen Speicheltest auf den Markt gebracht, der solch eine OP unnötig macht - und somit Tausenden von Frauen Linderung verschaffen könnte.

Jedes Jahr 40 000 neue Erkrankungen

Endometriose zählt zu den häufigsten gynäkologischen Erkrankungen. Die betroffenen Mädchen und Frauen leiden unter meist schmerzhaften Wucherungen aus gebärmutterschleimhautartigem Gewebe, das außerhalb der Gebärmutterhöhle meist in benachbarten Organen und Geweben wächst. »Schätzungsweise 10 bis 15 Prozent aller Frauen sind davon betroffen«, sagt Taraki, der bei Eluthia die Entwicklungsabteilung leitet. Heilbar sei Endometriose nicht, bei einer frühzeitigen Erkennung könnte man die Erkrankung durch gezielte Hormonbehandlung jedoch in den Griff bekommen.

Die Eluthia GmbH hat schon mehrere gynäkologische Tests selbst entwickelt. Der Speicheltest zur Diagnose von Endometriose, den es laut Elu-thia weltweit noch nicht gibt, stammt jedoch aus einem Labor in Paris. Das Gießener Unternehmen übernehme für den französischen Partner Ziwig die Vermarktung in Deutschland, sagt Taraki. »In Deutschland hängen wir leider oft hinterher, wenn es darum geht, Innovationen zur Marktreife zu bringen.« Bei dem »Ziwig Endotest« ist dies nun gelungen.

Einer der größten Vorteile des neuen Verfahrens sei die Möglichkeit einer frühzeitigen Erkennung, sagt Dr. Ramón Enríquez Schäfer, der Geschäftsführer von Eluthia. »Bis zu Diagnose vergehen im Schnitt acht Jahre. Für viele Frauen bedeutet das einen langen Leidensweg, auf dem sie unterschiedlichste Ärzte aufsuchen.« Bei einigen Betroffenen seien die Verläufe derart gravierend, dass sie in der Arbeitsunfähigkeit mündeten. »Auch das soziale Leben leidet sehr darunter.« Nicht zuletzt sei die Familienplanung betroffen, in 30 bis 60 Prozent der Fälle sei Endometriose für einen unerfüllten Kinderwunsch verantwortlich.

Laut Taraki erkranken jedes Jahr 40 000 Frauen an Endometriose. Neben den unspezifischen Symptomen, zu denen neben unterschiedlichen Schmerzen rund um die Gebärmutter auch akute Entzündungen und Blutungen gehören können, sei auch die Art der Diagnosemöglichkeit oft ein Hemmnis für die behandelnden Ärzte, sagt Taraki. Eine OP unter Narkose werde schließlich nicht leichtfertig durchgeführt.

In ein Röhrchen zu spucken, ist da weitaus harmloser. Mehr ist für den Speicheltest nicht erforderlich, sagt Taraki. Anschließend werde das Paket vom Gynäkologen in die Siemensstraße geschickt, von wo aus es dann an ein Partnerlabor in der Schweiz gesendet werde. Dort würde in einem aufwendigen Verfahren die MicroRNA sequenziert und so festgestellt, ob die Probe Endometriose belege. »Die Zuverlässigkeit liegt bei fast 100 Prozent«, betont Taraki. 14 Tage später hätten die Patienten das Ergebnis - und Gewissheit.

Krankenkassen erstatten noch nicht

Taraki und Schäfer wollen somit ein niederschwelliges Angebot schaffen. Doch noch sind die Schwellen für viele Patientinnen groß. Der Test kostet 800 Euro und wird von den Krankenkassen noch nicht übernommen. »Für die französische Kassenvereinigung läuft noch eine Studie mit 1000 Frauen. Wir gehen davon aus, dass die Kosten in Frankreich ab dem ersten Quartal des nächsten Jahres erstattet werden«, sagt Taraki. Mit den in Frankreich erhobenen Daten will Eluthia dann auch eine Erstattung in Deutschland erwirken, am besten innerhalb des nächsten Jahres.

Das ist ambitioniert. Solch ein Vorhaben kann oft Jahre dauern. Auch wenn es bei einem mit so viel Leid verbundenen Thema sehr bürokratisch klingt, muss die Krankenkasse neben einer Überprüfung des medizinischen Nutzens auch eine Kosten-Nutzen-Analyse durchführen. Taraki will das gar nicht kritisieren: »Es gilt das Solidaritätsprinzip, es muss für die Gesellschaft wirtschaftlich sein.«

Für den Endotest sehe er diese Anforderung aber mehr als erfüllt an. »Eine Laparoskopie kostet bis zu 3700 Euro und ist somit deutlich teurer.« Abgesehen davon würden durch eine spätere Diagnose hohe Folgekosten entstehen, wirft Geschäftsführer Schäfer ein, zum Beispiel durch erhöhte Krankenstände, dauerhafte Berufsunfähigkeit und viele vermeidbare Arztbesuche.

Das alles sind harte Finanzierungsfakten. Das größte Argument für eine Übernahme durch die Krankenkasse ist in den Augen von Schäfer und Taraki hingegen die Möglichkeit, Tausenden Frauen bei der Linderung ihrer Leiden zu helfen.

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