Seifenblasen für die Liebe

Die Regie macht’s möglich: Der »Sommernachtstraum« von Benjamin Britten weht im Stadttheater als Seifenblasen-Oper durch den nicht vorhandenen Zauberwald.
Und dann kniet sich Tytania auf das Kissen. Der Esel rafft ihr den Rock hoch, nimmt sie von hinten. Ein Schaumstoffrohr ragt aus seiner Hose. Das deutet der im Pornografiefach leidlich gebildete Zuschauer erst auf den zweiten Blick als Lustinstrument, obschon es an einen Sicherheitspoller vor dem Verkehrsministerium erinnert. Tytania, nach Pucks Liebesstimulanz erwacht, erblickt den Esel, in den sich der Handwerker Bottom verwandelt hat, und interessiert sich sogleich für dessen Phallus, den sie mit dem Finger antippt und verzückt bestaunt.
Kurz darauf schlafen die beiden erschöpft im nicht vorhandenen Wald ein und der erste Teil des Abends endet. Gespielt wird Benjamin Brittens Oper »Ein Sommernachtstraum« von 1960 nach William Shakespeares Komödie. Sie feierte am Samstag im Stadttheater Premiere.
Im Zauberwald herrscht das zerstrittene Elfenkönigspaar Tytania und Oberon. Kobold Puck sorgt für Tohuwabohu. Mittenrein purzeln vier junge Verliebte. Zudem proben sechs Handwerker ein komödiantisches Trauerspiel.
Der Puck hat in der Inszenierung von Magdalena Fuchsberger Pause. Im zweiten Durchgang steckt er kurz in einem Sack. Ansonsten tapst ein Hase immer wieder über die Bühne, womöglich als Fruchtbarkeitssymbol. Nachhaltig ist Meister Lampe jedenfalls, so soll es in einem progressiven Theater ja auch sein. Das Kostüm stammt aus dem Fundus und leistete vor zehn Jahren im fabelhaften »Agrippina«-Kindergartenmeilenstein gute Dienste. Nun haust der putzige Hase also im Zauberwald.
Doch mit dem ist es nicht weit her. Fuchsberger spart diesen potenten Hauptdarsteller aus. Statt tanzender Chöre in Baumgestalt, Laubbläserstimmung oder grünem Fantasiedekor flankiert ein Fadenvorhang rechts und links den Bühnenboden. Hinten hängt ein dritter Vorhang und begrenzt den Spielraum auf ein schwarzes Viereck. Ein Schriftzug leuchtet. Das griechische Wort für »heilig« (das auch »verflucht« bedeuten kann) ist dort zu lesen. Die versprochene Nachtclubatmosphäre beschränkt sich auf schwarze Kissen, die vom Schnürboden herabknallen, Pucks Hormonseifenblasen, die so schnell platzen wie die Liebe, und eine Discokugel, die etwas Licht ins Dunkel blinkt. Da man sich in Griechenland wähnt, darf sich das reduzierte Bühnenbild spartanisch nennen.
Bei den Kostümen legt Ausstatterin Monika Biegler, seit Jahren mit Fuchsberger ein Team, mehr Wert auf Details. Das Liebesquartett trägt ein identisches Outfit: mintgrüner Anzug, Glitzerstiefel, Langhaarperücke. Oberon huscht durch seine Traumwelt als Gary Glitter; der Glam-Rock-Star aus den Siebzigern saß jahrelang wegen Kindesmissbrauchs im Knast. Tytania glitzert im Puffärmel-Kleidchen mit Schleppe und weißen Stiefeln der Marke Overknees.
Im Gießener Wald ist dem Qualm nach zu urteilen Cannabis längst legalisiert. Das vom nicht vorhandenen Puck verabreichte Kraut einer magischen Blume, einst von Amors Pfeil getroffen, macht augenscheinlich geil und dumm. Zumindest engstirnig. Das Stück entwickelt Längen. Fans immerhin können sagen: Man kommt nicht so schnell wieder runter.
Generalmusikdirektor Andreas Schüller lässt sein Philharmonisches Orchester erfrischend aufspielen. Brittens transparente Musik hat zwei Seiten. Das gläserne Pling-Plong der Feenwelt zerrt etwas an den Nerven, doch ehe sich der Zuhörer davonmachen kann, wechselt Britten das Timbre und legt einen hochflorigen Streicherteppich aus, der zum Bleiben gemahnt.
Den prächtigsten Part haben die dussligen Handwerker, wenn sie, als Stück im Stück, »Pyramus und Thisbe« aufführen, jenes Liebesdrama, das schon bei der Rollenverteilung Probleme bereitet. Überhaupt kann sich das komplette Ensemble hören lassen. Den gut disponierten Kinder- und Jugendchor hätte man gern öfter auf und nicht hinter dem Spielviereck gesehen.
Countertenor Meili Li gibt einen irrlichternden Oberon. Sopranistin Annika Gerhards zeigt in ihrer koloraturfreudigen Partie der Tytania wunderbare Crescendi. Bei den vier Verliebten stechen Mezzosopranistin Jana Markovic (Hermia) und Tenor Johannes Strauß (Lysander) hervor. Den größten Schlussapplaus vom begeisterten Publikum erhält Bariton Grga Peroš als Handwerker und Esel.