1. Gießener Allgemeine
  2. Gießen

Schoko, Braunes und Weißes

Erstellt:

Von: Kays Al-Khanak

Kommentare

BBB_Kokain_73105425_2101_4c
Eine BKA-Ermittlerin berichtet von Chat-Nachrichten des Hauptangeklagten, in denen von »Weißem« die Rede gewesen sei. Dies sei ein Synonym für Kokain. © DPA Deutsche Presseagentur

Im Prozess am Landgericht Gießen gegen mutmaßliche Drogenhändler mit Verbindungen zu einem Kartell geht die Puzzlearbeit weiter. Am Freitag berichtete eine Beamtin des Bundeskriminalamts von Chat-Absprachen zu mutmaßlichen Drogen-deals. Und die Verteidiger des Hauptangeklagten fordern dessen Entlassung aus der Untersuchungshaft.

Es ist bereits ein paar Tage her, da informierte Staatsanwältin Mareen Fischer den Hauptangeklagten in dem Verfahren um Drogengeschäfte mit Verbindungen zu einem vor allem auf dem Balkan operierenden Kartell über den auf dem Balkan erschienenen Presseartikel. In diesem wird der Klarname des Hauptangeklagten mit weiteren Namen genannt - eine Vorgehensweise, die es in der deutsche Presse nur in Ausnahmefällen gibt. In dem Bericht heißt es, die Mitglieder der Gruppe sollen auf unterschiedliche Weise an einem schweren Kapitalverbrechen im Jahr 2020 beteiligt gewesen sein. Diese Information erwähnt einer der drei Verteidiger des Hauptangeklagten, Tomasz Kurcab, in der öffentlichen Hauptverhandlung in einem Antrag: Der 45 Jahre alte Gießener Geschäftsmann sitze seit einem Jahr in Untersuchungshaft, sei aber persönlich und beruflich in Gießen verwurzelt. Es bestehe keine Fluchtgefahr, erst recht nicht bei einer Fußfessel oder dem Einzug von Pässen. Und da die Staatsanwaltschaft »Vergeltungsanschläge vermutet«, wäre Polizeischutz für den Gießener und seine Familie nötig. Damit gebe es erst recht keine Fluchtgefahr.

Hintergrund ist der Kampf zwischen zwei aus Montenegro stammenden Clans mit Gewalt und Morden in ganz Europa. Zu einer der Gruppen soll der Hauptangeklagte Verbindungen gepflegt haben, weshalb ihn Europol als »High Value Target« bezeichnet - als Mitglied der Führungsebene der Schweren und Organisierten Kriminalität.

Chats, Bilder und Sprachnachrichten

Im Prozess vor der Siebten Strafkammer des Landgerichts Gießen wirft die Staatsanwaltschaft ihm und zwei weiteren Angeklagten vor, zehn Kilo Heroin und 45 Kilo Kokain transportiert zu haben - nach Gießen, aber auch aus den Niederlanden, Spanien oder Kroatien nach Montenegro und Italien. Der Gießener soll von einem 45 Jahre alten Marburger und einem 63-jährigen Kreis-Gießener unterstützt worden sein. Das seit Oktober 2022 laufende Verfahren in Gießen ist eines der ersten bundesweit, das auf von Europol übermittelten Daten aus gehackten Krypto-Handys des Anbieters SKY-ECC basiert.

Wie die deutschen Strafverfolgungsbehörden an diese Daten gekommen sind, schildert der Leiter der Besonderen Aufbau-Organisation (BAO) »Baldur« beim Bundeskriminalamt (BKA) am Freitag im Verfahren. Im Februar 2020 sei das BKA darüber informiert worden, dass Frankreich, Belgien und die Niederlande ein Joint Investigation Team (JIT) gebildet hätten. Bei JIT handelt es sich um eine auf Zeit für einen bestimmten Fall eingerichtete Ermittlungsgruppe von Behörden aus zwei oder mehr EU-Staaten. Sie wollten einen in Frankreich befindlichen Server des Anbieters SKY-ECC überwachen und daraus Daten abgreifen. Nachdem im März 2021 die verdeckte Phase beendet und die polizeilichen Maßnahmen in den JIT-Ländern begonnen hätten, hätten auch die deutschen Ermittler die Möglichkeit bekommen, auf den Datenbestand - Chats, Sprachnachrichten und Bilder - zurückzugreifen.

Die Verteidiger des Hauptangeklagten mahnen immer wieder an, dass Daten fehlten, zum Beispiel bei Chats zwischen zwei Nutzern nur die Nachrichten einer Person zu lesen seien. Der 60 Jahre alter Leiter der BAO betont, die französischen Behörden hätten ein »sehr komplexes System an Maßnahmen« ergriffen, die nicht immer erfolgreich gewesen seien. Sie hätten ein Serversystem überwacht, aber an manchen Stellen seien nicht alle Informationen geflossen. Die französischen Behörden seien mit diesem Umstand aber sehr offen umgegangen und hätten dies auch deutlich beschrieben.

Mit der Auswertung von drei Sky-ECC-Chats beauftragt war eine 47 Jahre alte BKA-Beamtin. Im Zeugenstand berichtet sie von ihren Erkenntnissen. Demnach wird eine Nutzerkennung dem Hauptangeklagten zugeordnet, eine weitere einem noch unbekannten BTM-Händler und eine dritte einem Anführer des mazedonischen Clans, zu denen die Angeklagten Verbindungen gepflegt haben sollen. In den Chats sei es um den Kauf und Transport von Drogen und von großen Mengen Bargeld gegangen.

Verteidiger haben Zweifel

Auf die Frage von Richter Peter Neidel, ob die Betäubungsmittelgeschäfte konkret benannt worden seien, spricht die BKA-Beamtin von verschiedenen Anhaltspunkten. In den Chats fänden sich Fotos, die augenscheinlich Kokain, Heroin oder Cannabis zeigten. Außerdem sei über Einkaufs- und Verkaufspreise gesprochen worden, es seien Begriffe gefallen wie Koks oder Weißes - laut der Ermittlerin Synonyme für Kokain -, Braunes (Heroin) sowie Schoko, Gras oder Haze (Cannabis). In einigen Nachrichten sei auch die Rede davon gewesen, dass die Qualität der Ware »Bombe« sei.

Die Verteidiger nehmen die Ermittlerin in die Mangel: Philipp Kleiner oder Carsten Marx zum Beispiel zielen mit ihren freundlich im Ton gestellten Fragen vor allem darauf ab, dass es sich bei ihren Aussagen um Interpretationen der Chat-Verläufe handelt. Kleiner betont zum Beispiel, dass seinem Mandanten Heroinlieferung in dem von der Beamtin ausgewerteten Zeitraum vorgeworfen werde, sich in den Chats dazu aber nichts wiederfinde. Die Verteidigung des Hauptangeklagten sät ebenfalls Zweifel an den Schlussfolgerungen der 47-Jährigen - nur hitziger. Am Ende fragt Rechtsanwalt Andreas Milch die Beamtin: »Haben Sie anhand der Chats einen Drogenfund erzielt?« Das sei ihr nicht bekannt, antwortet sie.

Auch interessant

Kommentare