Schöne Zeitreise

Gießen (axc). Zunächst betreten Ilona Roth und Peter Wolf vom Vorstand der Sparkasse die Bühne, um sich vor dem gut 350-köpfigen Publikum für den Spendenanteil von über 144 000 Euro zu bedanken, der beim PS-Los-Sparen zusammengekommen war. 1,20 Euro pro Los kommen sozialen und gemeinnützigen Projekten, vor allem heimischen Sportvereinen, zugute.
Nach dem »Werbeblock« (O-Ton Wolf) ist es endlich so weit - coronabedingt mit zwei Jahren Verspätung: Chris Thompson (75), der in Neuseeland aufgewachsene britische langjährige Leadsänger von Manfred Mann’s Earth Band, betritt mit seinen vier Kollegen der norwegischen Mads Eriksen Band die Bühne. Viel ist nicht zu sehen, da Gunnar Bjelland seine Keyboardschwaden anfangs durch weitgehende Dunkelheit wabern lässt. Tatsächlich ist die erste Nummer ein schon 1976 unterschätztes Instrumental: »Waiter, There’s a Yawn in My Ear«. Thompson spielt Rhythmusgitarre (wohl dieselbe wie damals), die Soli liefert der als Saitenheld zwischen Hendrix und van Halen gefeierte Mads Eriksen. Die Tastentöne zeigen ein kleines Dilemma auf: Die verschwurbelten Moog-Sounds von Manfred Mann zu kopieren ist aussichtslos, aber Bjellands Klangeinstellungen erwecken den Eindruck, als sei er auf der Zeitreise in die Siebziger eine Haltestelle zu früh ausgestiegen. Bis auf einige schöne Hammond-Klänge im weiteren Verlauf sind die Keyboardsounds stark in den Achtzigern verhaftet.
»Angels at My Gate« wirft noch mehr Fragen auf: Was ist mit Thompsons Stimme los? Er singt mit Gefühl und nach etwas Anlaufzeit auch mit Power, aber blind würden wohl nur die wenigsten die - jetzt brüchige - Stimme aus Earth-Band-Zeiten wiedererkennen. Der charakteristische Schmelz ist weg. Der Stimmung im Saal tut das keinen Abbruch, auch die Band selbst kommt langsam in Fahrt.
Wah-Wah-Gitarre und Greatest Hits
Bei dem Police-Cover »Demolition Man« haut es noch nicht so hin mit dem Mitklatschen, aber Mads’ flitzeflinkes Wah-Wah-Gitarrensolo lässt einige im Saal staunen. Gut, dass die Band nicht an den Originalversionen klebt, sondern mutig umarrangiert, z.B. in dem ewigen Geheimtipp »Martha’s Madman« mit einer schön »irren« Passage und Bubblegum-Keyboards. Dass Thompson/Eriksen auch Blues und Rock’n’Roll können, zeigen sie mit »Whole Lot to Give«. Eriksen spielt Slide, Thompson bleibt nur die »Luftgitarre«.
Das zweite Set ist eine runde Sache, umrahmt von Spring-steens »For You« in einer Klavier- und einer Bandfassung. Die Musiker sind nun viel lockerer, selbst Bassist Frank Hovland kommt von seinem Stehhocker für Backing Vocals zum Mikrofon, Thompson und Eriksen kreuzen immer wieder die Gitarren. Jetzt sind die Fans richtig dabei. Vor der finalen Greatest Hits-Runde geht »Woe Is Me«, ein Thompson-Song von 2014, mit seinem Sinnsuche-Text und bluesig-gospeliger Musik unter die Haut.
Ab jetzt kann Thompson nichts mehr falsch machen: »Don’t Kill It Carol« rockt und rollt, bei »Blinded by the Light« macht es gar nichts, dass die Fans den Text doch nicht so mitsingen wie gewünscht, und bei »Mighty Quinn« gibt es kein Halten mehr: vor der Bühne wird getanzt, viele erheben sich von ihren Plätzen. Es ist einfach schön, diese tollen Hits mal nicht nur im Radio zu hören, sondern live zu erleben. Bei der Zugabe »Davy’s on the Road Again« ist das Publikum dann absolut textsicher.