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Schadstoffbelastung sinkt weiter

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Von: Burkhard Möller

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In Gießen wird die Luftqualität an der Westanlage ermittelt. © Oliver Schepp

Seit in Gießen vom Land Hessen Luftschadstoffe gemessen werden, war die Stadtluft noch nie so sauber wie im vergangenen Jahr. Die Belastung mit dem gesundheitsschädlichen Stickstoffdioxid hat einen neuen Tiefstand erreicht. Überraschend niedrig war auch die Feinstaub-Belastung durch das Silvester-Feuerwerk. Dies könnte mit dem Standort der Messstation zu tun haben.

Auch in Gießen ist in der Silvesternacht intensiv geböllert worden, worauf unter anderem am Neujahrstag viele Reste von Feuerwerk, die auf Plätzen und Straßen herumlagen, schließen ließen. Beim Feinstaub-Ausstoß bildete sich das Comeback von Raketen und Krachern nach der Corona-Zwangspause allerdings kaum ab. In der ersten halben Stunde des neuen Jahres lag die Belastung gerade einmal bei 94 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, in der ersten vollen Stunde waren es knapp 67 Mikrogramm. Das ist deutlich weniger, als in den Silvesternächten vor Corona gelegentlich gemessen wurde. Da schnellten die Werte in der Stunde nach Mitternacht schon mal auf 600 oder 800 Mikrogramm hoch, beim Jahreswechsel 2019/2020 lag der Wert zum Beispiel bei 476.

Hessenweit starke Schwankungen

Allerdings kann die Belastung auch mit lokalen Wetterlagen oder dem Standort der Messstation zusammenhängen. In Gießen wird die Belastung der Luft mit Schadstoffen seit etlichen Jahren an der Westanlage gemessen. Wenn in der Umgebung nicht viel geböllert wird, sind die Werte entsprechend niedrig. Der hessenweite Blick zeigt, dass die Feinstaubwerte von Station zu Station stark schwanken. In Wetzlar oder Offenbach lag die Belastung nach Mitternacht jeweils mehr oder weniger deutlich über 1000 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.

Unabhängig vom jährlichen Feinstaub-Ausreißer durch das Feuerwerk war die Gießener Luft auch 2022 viel sauberer als früher, obwohl coronabedingte Einflüsse wie ein Rückgang an Straßenverkehr für das vergangene Jahr nur noch bedingt als Grund angeführt werden können. Beim Stickstoffdioxid, das in den vergangenen Jahren - Stichwort Dieselfahrverbote - besonders im Fokus stand, ist im vergangenen Jahr ein neuer Tiefstand gemessen worden. Lag die Belastung mit dem gesundheitsschädlichen Luftschadstoff in den Corona-Hauptjahren 2020 und 2021 mit 34 und knapp 32 Mikrogramm schon vergleichsweise niedrig, ergibt sich für 2022 »nur« noch ein Jahresdurchschnittswert von 30,4 Mikrogramm. Das ist der niedrigste, seit in Gießen vom Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) Luftschadstoffe wie Stickoxide und Feinstäube gemessen werden.

Der oben genannte vorläufige gleitende Jahresmittelwert ergibt sich, wenn man die Monatsmittelwerte addiert und durch zwölf teilt. Die knapp 30,4 Mikrogramm für 2022 liegen fast zehn Mikrogramm unter dem nach wie vor geltendem Jahresgrenzwert von 40 Mikrogramm, der in Gießen in den Jahren bis 2020 fast immer mehr oder weniger deutlich überschritten wurde. Gießen liegt damit aktuell weit außerhalb der Reichweite von Maßnahmen zur Luftreinhaltung wie der Einrichtung einer Umweltzone, über die 2017 noch diskutiert wurde. Über dem Grenzwert von 40 lag im vergangenen Jahr mit dem März nur ein Monat. Am nächsten dran waren noch der Januar mit 35 und der Februar mit 34,2.

Noch niedriger fielen die Werte in der Johannette-Lein-Gasse aus, wo seit einigen Jahren ein sogenannter Passivsammler hängt. Auch hier war der März mit gut 24 Mikrogramm der Monat mit der höchsten Belastung, für November und Dezember liegen noch keine Werte vor.

EU plant Verschärfung

Als Hauptursache für den Rückgang der vergangenen Jahre, der in allen Städten zu beobachten ist, galt zuletzt der coronabedingt immer noch ausgedünnte Straßenverkehr, weil sich viele Berufspendler ins Homeoffice zurückgezogen hatten. Hinzu kommt, dass die Fahrzeugflotten immer sauberer werden, was den Ausstoß von Luftschadstoffen betrifft. Auch die Lage der Messstation dürfte eine Rolle spielen. Es ist anzunehmen, dass durch die Westanlage seit Oktober 2020 noch weniger Lkw-Verkehr rollt, da damals die Konrad-Adenauer-Brücke auch für den Verkehr über 3,5 Tonnen gesperrt wurde. Für schwere Lkw war die Brücke bereits zuvor gesperrt.

Gemessen wird an der Westanlage seit 2006. Zuvor stand die Messstation am Oswaldsgarten, dort deutlich weiter weg von der Nordanlage in dem dortigen Park. Das führte zu niedrigeren Stickoxid-Werten von unter 40. Aber so niedrig wie 2020, 2021 und 2022 waren sie auch dort nie. Die Station wich dem Bau der Galerie Neustädter Tor.

Noch weniger ein Thema ist der Feinstaub, der früher zu Diskussionen auch in Gießen führte. 2022 wurde der Tagesgrenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft nur an zwei Tagen im März überschritten. Erst wenn der Grenzwert an 35 Tagen eines Jahres überschritten wird, müssen Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Vor 20 Jahren war diese Messlatte in Gießen noch gerissen worden; einmal wurde sogar an fast 50 Tagen des Jahres der Feinstaub-Grenzwert überschritten.

Ändern könnte sich die Betrachtung in einigen Jahren, denn die Europäische Union plant bis 2030 eine deutliche Absenkung der Schadstoff-Grenzwerte sowohl beim Stickstoffdioxid als auch beim Feinstaub. Die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation liegen noch weit unter diesen Plänen der EU, beim Stickstoffdioxid zum Beispiel entspricht er mit zehn Mikrogramm nur noch einem Viertel des aktuell zulässigen Jahresmittelwerts von 40 Mikrogramm.

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