Rock und Blues mit Sonia Rutstein

Die Konzerte in der Vitos Kapelle haben wieder begonnen. Als Gast trat jetzt zum vierten Mal die Singer-Songwriterin Sonia Rutstein auf. Die mit einem sonnigen Gemüt bedachte quirlige Amerikanerin versetzte das volle Haus in allerbeste Stimmung.
Es war das 302. Konzert von »Musik bei Vitos« überhaupt, betonte Veranstalter Rainer Römer und das Stammpublikum war ziemlich vollständig erschienen. Sonia Rutstein, Cousine von Bob Dylan, ist eine Vollblutmusikerin, die ohne Umschweife bescheiden loslegt, obwohl sie schon die höchsten Auszeichnungen der Branche errang. Ihre Alben verkauften sich millionenfach, und sie spielte mit Größen wie Emmylou Harris, Bruce Springsteen und Pete Seeger. Bekannt wurde sie auch mit ihrer Band »Disappear Fear«.
In Gießen singt sie und spielt Gitarre, ganz unspektakulär und ohne jeden Aufwand. Sie legt los mit einem schönen Rocktitel, eingängig und fröhlich, der Text bleibt unklar, die Gitarre ist zu laut und ihrer hellen Stimme zu ähnlich. Mit »Me Too« macht sie dann klar, dass ihre Themen ganz aktuell sind.
Sie überzeugt mit einer großen musikalischen Originalität und perfekter Technik. Mal abgesehen davon, dass sie weiß, wie man mit der Gitarre Stimmung macht, wenn sie den Rocker in sich rauslässt. Besonders reizvoll wird es, wenn sie leise singt, ihre Stimme rau wird und sie ganz sensibel auf jemand eingeht (»So scared of what the world will think of me«). Sie kann auch wunderbar Geschichten erzählen (»Today’s better«).
John Lennons »Imagine« singt sie in einer selbstbewusst aparten Fassung, und es scheint, als gäbe sie den vertrauten Zeilen aktuelle Bedeutung: »Imagine there’s no hell below us, above us only sky«, das Publikum singt mit - ein herzerwärmender Moment.
Richtig gut liegen Rutstein anspruchsvolle Texte. Für »By My Silence« vertonte sie einen Text von Martin Niemöller, »Als die Nazis die Kommunisten holten«, und machte daraus ein eindringliches Statement für klare Parteinahme: »I didn’t ask till their sorrow turned into mine«, ein Thema, zu dem sie als Jüdin besonderen Bezug hat. Sie engagiert sich auch politisch und bringt ein Lied über eine Frau, die ins Gefängnis kam, weil sie auf Kurdisch gesungen hatte, teilweise singt sie es Kurdisch. Einmal singt sie zum Klavier »This Land Is My Land«, aber in Moll - Rutstein kann und möchte eben auch anders.
Stilistische Sicherheit
Große Glanzlichter sind »Consent« wie auch das poetische Liebeslied »Princess and The Honeybee«, das sie facettenreich realisiert. Und richtig aus sich heraus geht sie bei fetzigen Rockern (»I Had A Baby«). So was haut sie mit traumhafter stilistischer Sicherheit und Mordsgefühl raus, das sich - es ist ein Blues - aufs Publikum überträgt.
Sonia Rutstein strahlt, ist mit sich im Reinen und kommt jedes Jahr zu Besuch (»Ich spiele gerne in Deutschland, es ist so etwas wie meine zweite Heimat geworden«) und knallt gleich noch einen Rocktitel hinterher, der das Publikum in Ekstase und sogar zum Klatschen auf die Zwei bringt: Mehr geht nicht.
Nach dem Schlussapplaus setzt sie sich ans Klavier und singt mit dem Publikum ganz leise und sensibel »What a Wonderful World«. Es ist ein wunderbarer Abend.