»Rock me, Amadeus«

Etwas überspitzt formuliert könnte man sagen, der Gießener Filmmusikkomponist Martin Stock habe die »Zauberflöte 2.0« komponiert. Mozarts Originalmusik ist im neuen Film »Magic Flute« enthalten. Stock hat dazu den Soundtrack und ein paar Überleitungen geschrieben.
Muss man für Mozart Werbung machen und dann auch noch für sein populärstes Werk, die »Zauberflöte«? Muss man nicht, aber man kann, sollte es vielleicht sogar, vor allem dann, wenn man nicht das übliche Opernpublikum, sondern eine ganz andere Zielgruppe ins Auge gefasst hat.
Seit rund einer Woche läuft in den deutschen Kinos und auch im Gießener Kinopolis der - wie soll man sagen - Musikfantasy-Film »The Magic Flute - Das Vermächtnis der Zauberflöte«. Der Titel klingt ein bisschen nach Harry Potter oder Indiana Jones. Und dies ist auch gewollt so. Der junge Münchner Regisseur Florian Sigl war schon immer Fan vom, wie der unvergessene Falco einst sang, »Superstar und Rockidol Amadeus«, hat seine Werbefilme, die er im Wesentlichen bis heute gedreht hat, gerne mit der Musik des Genies unterlegt.
Nun erzählt er in seinem ersten abendfüllenden Spielfilm die Geschichte des jungen Tim Walker, eines Gesangsschülers, der sich auf einem streng viktorianischen und schwer an Hogwarts erinnernden Internat zum Tenor ausbilden lassen will. Beim ersten Vorsingen wird er vor versammelter Mannschaft vom fiesen Internatsleiter runtergemacht. Diesen spielt, eine großartige Pointe, F. Murray Abraham, der oscarprämierte Salieri in Milos Formans Meisterwerk »Amadeus«. Ein frustrierender Einstieg für den jungen Mann.
Üppig bebildertes Abenteuer
Aber wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten und es öffnet sich eine Türe. Und so kommt Gießen ins Spiel, genauer gesagt ein gebürtiger Gießener, Jahrgang 1961 und ehemaliger Liebigschüler, der seit Jahren in München wohnt und inzwischen einer der renommiertesten Filmmusikkomponisten in Deutschland ist: Martin Stock.
»Ich würde behaupten, einen guten Film kann die Musik nicht kaputt machen, aber einen nicht so guten Film kann die Musik ein wenig retten.« Dies sagte der Komponist, der immer noch gerne in die alte Heimat Gießen zurückkehrt, dieser Zeitung im Jahre 2019. Jetzt hat er - was für eine Herausforderung - quasi Seite an Seite mit Mozart, die Filmmusik zu »The Magic Flute« komponiert.
Das hat mit oben erwähnter Türe zu tun. Dem jungen Tim wurde vom verstorbenen Vater eine Partitur der »Zauberflöte« vermacht. Diese hat magisches Potential. Jede Nacht kann der Gesangsschüler, schlägt er zur rechten Stund’ die Partitur auf, eintauchen in eine Zauberwelt und ein großes, üppig bebildertes Abenteuer - Roland Emmerich, der Kino-Katastrophenfachmann, hat produziert - beginnt. Aus Tim wird Tamino und er muss, von Stocks Musik vorangetrieben, Pamina aus den Händen Sarastros befreien.
Und da leistet der Komponist Martin Stock Großes. Er verwebt, die Schnittstellen hört man kaum, Mozart mit seinen erst mal am Rechner zusammengestellten Kompositionen. Und dann, so schreibt er auf seiner Homepage: »Heute sind wir zum zweiten Mal für eine Woche im großen Saal des Mozarteums in Salzburg, um die Filmmusik für ›The Magic Flute‹ aufzunehmen. Was für ein wundervolles Orchester mit hoch motivierten Musikern und einem grandiosen Dirigenten: Leslie Suganandarajah, dem Musikdirektor des Salzburger Landestheaters.« Vom Digitalen ins Analoge.
Natürlich, ein Opernfachmann wird nun zusammenzucken und fragen, ob man neben Mozart noch einen zweiten Mozart braucht, aber man darf und muss so ein Wagnis eingehen. Martin Stock, eng befreundet mit dem in Gießen allgegenwärtigen Musikproduzenten und Kinderliedermacher Martin Pfeiffer, hat immer, wie Pfeiffer, für junges, sprich das zukünftige und dringend benötigte, Publikum komponiert. Pu, der Bär. Tabaluga. Frau Holle.
Und so kann man, wem das »Kalte Herz« im Gießener Stadttheater zu politisch erscheint, im Kinopolis ein Weihnachtsmärchen der anderen Art erleben. Mit aus »Gießener Feder« komponierter Musik und Hand in Hand mit Amadeus und Harry Potter. Eine schöne Mischung.
Und wenn dann mal Opa und Enkelin oder Papa und Sohn sich gemeinsam eine Inszenierung der »Zauberflöte« anschauen, in einem Opernhaus ihrer Wahl sitzen, die Smartphones derweil schweigen, dann ist schon viel gewonnen. Schlusswort Falco: »Come and rock me, Amadeus!«
