Rettung statt Verlorenheit
In den letzten Jahren war der Schrecken an einem jeden 31. Oktober ein Spiel. Schließlich ist seit einiger Zeit an diesem Tag beides: Reformationstag und Halloween. Jetzt kommt der Schrecken uns als bittere Wirklichkeit so nah wie seit Jahrzehnten nicht. Unfassbare Gewalt fügt Russland der Ukraine zu. Tag um Tag wird Leben ausgelöscht. Dazu bekommen wir es mit Drohungen zu tun, die Bilder von der alles zerstörenden Katastrophe eines Atomkrieges heraufbeschwören.
Rasant steigende Preise und drohende Rezension bedeuten herbe Wohlstandsverluste auch in unserem Land. Die einen werden sie tragen können, viele andere drohen zu verarmen. Und die menschengemachte Klimakrise legt auch keine Pause ein. Ganz im Gegenteil.
In einer Zeit des Umbruchs brachte Martin Luther mit seinem Thesenanschlag im Jahr 1517 die Reformation ins Rollen. Er entdeckte einen Glauben neu, der Vertrauen fassen lässt und Halt gibt. Wie so viele war Luther davon umgetrieben, für das eigene Leben einen Schrecken ohne Ende zu befürchten. Und dann erkannte er: Ich kann mein Vertrauen auf einen Gott setzen, der für mich da ist, der Rettung will und der das Leben nicht verloren gibt.
Schon damals galt: Schreckensszenarien schüren die Angst. Leiten sie mich, dann sehe ich nur schwer, was sonst noch möglich sein könnte für mich, für andere und für diese Welt. Nehmen sie mich gefangen, lasse ich mich lähmen und drehe ich mich schnell vor allem um mich selbst.
Ich glaube: Aus dem, was Luther entdeckte, entspringt eine Haltung, die jetzt hilft. Es geht darum, immer wieder Vertrauen zu fassen und daraus Zutrauen zu gewinnen. Es geht darum, in allem Schrecken handlungsfähig zu bleiben. Es geht darum, solidarisch zu sein, auch wenn es schwerer wird. Die Menschen in der Ukraine brauchen in ihrem Kampf gegen Tod und Terror weiterhin die Unterstützung vieler anderer Länder. Diejenigen in unserem Land, denen es in diesem Winter am Nötigsten fehlt, brauchen zielgerichtete Hilfen. Die Generationen unserer Kinder und Kindeskinder brauchen unser verantwortliches Tun und Lassen, damit auch sie ihr Leben auf diesem Planeten noch gestalten können, wagemutig und in Freiheit.
Pfarrer André Witte-Karp,
Dekan des Evangelischen Dekanats Gießen
Der Dekan predigt am Montag, 31. Oktober, 18 Uhr, im Reformationsgottesdienst in der Johanneskirche.