»Real Dolls« als Partnerinnen-Ersatz

Gießen (dkl). Die aktuelle Ausstellung in der Kunsthalle fasziniert und befremdet gleichermaßen. Lebensgroße Puppen, ein Ebenbild der Künstlerin Louisa Clement, können nicht nur sprechen, sondern in Grenzen auch kommunizieren. Clement nennt die Puppen ihre »Repräsentantinnen«. Auf welchem gesellschaftlichen Phänomen diese in China gefertigten Objekte basieren, das war am Freitagabend in einem Vortrag zu hören, dem Interessierte in Präsenz und per Streaming zuhören konnten.
Prof. Susanne Regener sprach über »Real Dolls« unter dem Aspekt des »kulturellen Wandels der Objektliebe«. Und zwar in den Niederungen der Popkultur. Eingeladen hatte Kunsthallenkuratorin Dr. Nadia Ismail in Kooperation mit Dr. Alma-Elisa Kittner vom Institut für Kunstpädagogik der Uni Gießen.
Fantasien und Wirklichkeit
Die Referentin lehrt an der Universität Siegen Mediengeschichte und Visuelle Kultur. Studiert hat sie europäische Ethnologie, was auch im Fall der Real Dolls ihr Vorgehen erklärt. Sie betreibe Feldforschung im Internet, wie sie sagte, und stehe erst am Beginn ihrer Untersuchungen. Bereits in ihrer Dissertation »Das verzeichnete Mädchen« (1986) hat sie sich mit dem Bild von Mädchen und Frauen beschäftigt, hat untersucht inwieweit Fantasien diese Idealvorstellungen prägen und wie diese auf die Realität zurückwirken.
Zunächst gab es einen kurzen Gang durch die Geschichte der Masturbationsapparate. Die Tätigkeit an sich und ebenso deren Hilfsapparate fielen unter moralisches und gesetzliches Verdikt, man kann die Apparate heute in Kriminalmuseen betrachten. Die Grenzen haben sich seither verschoben. In den 70er Jahren tauchten aufblasbare Sexpuppen auf und mit der Entwicklung der Herstellungsverfahren gibt es Puppen, die sich dem realen Körper immer mehr annähern. Dazu kommt als wichtiger Austauschfaktor Social Media. Auf Internetforen tauschen sich diese Menschen, in der Regel Männer, miteinander aus. Sie geben Tipps zum Ankleiden, Schminken, Reinigen, für Fotosessions. Wirklich real werden die Real Doll durch das Fotografieren und Posten der Fotos. Diese seien nicht pornografisch, sondern zeigen gemeinsame Unternehmungen. Trotzdem geschehe alles heimlich, es sei eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich selbst als fortschrittlich betrachtet. Die These der Referentin: in einer Zeit, in der sich Frauen von Zuschreibungen freimachen, wenden sich einige Männer dem Ersatz zu. Die »Real Dolls« sind passiv und widersprechen nicht. Insofern sind Clements »Repräsentantinnen« eher Zitat der Real Dolls, durch die eingespeisten Antworten und Meinungen der Künstlerin wurden sie auch als lernfähige künstliche Intelligenz programmiert. Es kam die Frage wie sehr die Puppen ihrem Vorbild ähneln. »Es kann nur enttäuschend sein«, sagte die Referentin. Den Vergleich kann jeder machen, beim Schauen des ttt-Berichts zur Ausstellung in der ARD-Mediathek. Darin ist das Gesicht der Künstlerin direkt neben das Gesicht der Puppe positioniert, Lebensspuren neben Silikon.
Der Katalog zur Ausstellung »Double Bind« (bis 26. September nach Terminbuchung auf kunsthalle-giessen.de zu besichtigen) ist in Produktion, darin wird der Forschungsansatz von Regener und anderen nachzulesen sein. FOTO: DKL
