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Radspuren am Gießener Anlagenring könnten kommen

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Von: Burkhard Möller

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Am Dienstagabend demonstrierten rund 100 Radfahrer auf dem Anlagenring für separate Radspuren. © Oliver Schepp

Im Gießener Stadtparlament zeichnet sich eine Mehrheit für einen Verkehrsversuch mit separaten Radspuren auf dem Anlagenring ab. Start könnte im September sein.

Am Dienstagabend fuhren sie bei einer erneuten Radler-Demonstration mit rund 100 Teilnehmern noch hintereinander auf den inneren beiden Spuren des Anlagenrings. Unter Umständen ab September oder Oktober sollen Autos und Radfahrer auf getrennten Fahrspuren auf Gießens Hauptschlagader unterwegs sein.

Für die Durchführung eines »mindestens einjährigen« Verkehrsversuchs mit separaten Rad- und Busspuren auf dem Anlagenring hat sich am Dienstagabend im Verkehrsausschuss des Stadtparlaments auf Antrag von SPD und Grünen eine knappe Mehrheit ausgesprochen. Der Bürgerantrag, der die Einrichtung der separaten Rad- und Busspuren innerhalb von sechs Monaten nach Verabschiedung dauerhaft, damit ohne vorherigen Probelauf, vorsieht und der dem Ausschuss von Mitinitiator Oliver Jenschke präsentiert wurde, ist durch den Änderungsantrag von SPD und Grünen vom Tisch.

In der intensiven Debatte, in die der hauptamtliche Magistrat nicht eingriff, wurde deutlich, dass das Thema die Koalition aus SPD, Grünen und CDU spaltet. CDU-Chef Klaus Peter Möller sprach von einem »Hauruckverfahren«, das dem von Corona-Pandemie und Onlinehandel gebeutelten Innenstadthandel nicht zugemutet werden sollte. Der Einzelhandel sei auf die gute Erreichbarkeit mit dem Pkw angewiesen, die durch die Wegnahme von Fahrspuren erheblich eingeschränkt würde. Das Ganze sei vom Zeitpunkt her ein unnötiger »Stresstest« für alle. Die CDU beantragte stattdessen, den Bürgerantrag als Vorschlag in den Prozess der Erstellung des Verkehrsentwicklungsplans (VEP) einfließen zu lassen. Zudem sollte die Fertigstellung des VEP, der eigentlich erst Ende 2022 vorliegen soll, beschleunigt werden.

Grüne: Müssen Zahn zulegen

SPD und Grüne interpretierten den CDU-Antrag als Zeitspiel und lehnten ihn ab. Zumal die Experten, die im Auftrag der Stadt den VEP stellen, ebenfalls einen Veränderungsbedarf am Anlagenring sähen, plauderte SPD-Fraktionschef Christoph Nübel aus dem Nähkästchen der internen Runden zum VEP. Nübel appellierte an die Kritiker, dem Gedanken an eine andere Aufteilung des Anlagenrings eine Chance zu geben und nicht mit »Schaum vor dem Mund« und dem Schüren von Ängsten vor Verkehrschaos und Kundenverlust zu reagieren. »Ich bin überzeugt, das bringt uns mehr Aufenthalts- und Lebensqualität in die Stadt. Lassen Sie es uns versuchen und schauen, ob es funktioniert«.

Für die Grünen stellte Radverkehrsexpertin Dr. Bettina Speiser fest, dass wieder eine ganze Legislaturperiode vergangen sei, ohne dass es am Anlagenring zur Verbesserung für Radfahrer gekommen sei. Dabei hätten Gutachter bereits 2007 angemahnt, die Verteilfunktion des Anlagenrings auch für den Radverkehr zu nutzen. Speiser: »Wir haben keine Zeit mehr. Wir müssen einen Zahn zulegen. Unser Ziel ist Klima- und Gesundheitsschutz in einer lebens- und liebenswerten Stadt.«

Für die Gießener Linke, die später für den Antrag von SPD und Grünen stimmte und ihm zur Mehrheit verhalf, müsse sich der Innenstadthandel »auf Stärken besinnen, die der Onlinehandel nicht hat«, sagte Fraktionschef Matthias Riedl. Dazu gehöre eine Verkehrsberuhigung und eine höhere Aufenthaltsqualität. Dass der Einzelhandel nur dort funktioniere, wo der Kunde im Auto vorfahre, werde durch die Probleme der Galerie Neustädter Tor, die über ein großes Parkhaus verfüge, widerlegt.

Den Versuch sparen kann man sich nach Überzeugung von Heiner Geißler. »Wir haben in normalen Zeiten 30 000 bis 40 000 Autos auf dem Anlagenring, dafür reichen zwei Spuren nicht. Es wird kilometerlange Staus geben«, sagte der Fraktionschef der Freien Wähler voraus. Der Radverkehr könne auf Seitenstraßen ausweichen: »Das funktioniert doch jetzt schon relativ gut.«

Aus Sicht von Dr. Martin Preiß (FDP) ist eine entscheidende Voraussetzung für die Wegnahme von Autofahrspuren nicht gegeben, nämlich eine allgemeine Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs. »Ich sage voraus: Das klappt nicht, das haben wir doch an der Baustelle am Elefantenklo im vergangenen Jahr gesehen.« Vom Zeitpunkt her sei der Versuch gegenüber dem Innenstadthandel »reichlich verantwortungslos«.

Gutachten mit zwei Varianten

Der vom Ausschuss mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken gegen das Votum von CDU, AfD und Freien Wählern (Enthaltung FDP) befürwortete Verkehrsversuch soll gutachterlich von Fachleuten begleitet werden. Sie sollen zwei Varianten untersuchen: eine, bei der die Radspuren entweder nur auf den beiden inneren Spuren geführt werden, und eine zweite mit einer vom Pkw-Verkehr baulich getrennten Spur auf jeder Straßenseite. Der Vorrang für die Busse sei sicherzustellen.

Über den Verkehrsversuch wird das Stadtparlament am 4. März entscheiden. Ob der Antrag von SPD und Grünen wieder eine Mehrheit erhält, bleibt abzuwarten. In der Corona-Pandemie blieben bislang immer einige Stadtverordnete den Sitzungen fern. Am 14. März findet die Kommunalwahl statt, bei der die Karten neu gemischt werden. Das Thema Verkehrsversuch könnte danach wieder auf dem Verhandlungstisch landen. Eine Koalition nur aus Parteien, die für oder gegen den Verkehrsversuch sind, ist unwahrscheinlich. Vorbereiten den Sommer über müsste ihn im Wesentlichen Verkehrsdezernent Peter Neidel, dessen CDU aber dagegen ist. Würde die Sechs-Monats-Frist eingehalten, würde der Versuch rund um die OB-Wahl am 26. September starten, bei der Neidel wohl selbst kandidiert.

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