Querdenker-Demo in Gießen: Übliche Corona-Parolen und Gegenprotest

Querdenker demonstrieren in Gießen gegen die Corona-Regeln. Nicht nur die „Omas gegen Rechts“ stellen sich gegen die Maßnahmen-Kritiker.
Gießen – Gießen hat am Samstag (19.02.2022) einen langen Tag der Demonstrationen erlebt. Mit etwa 600 Teilnehmern blieb eine Veranstaltung von Kritikern der Corona-Maßnahmenpolitik aber weit unter der Erwartung der Veranstalter. Gut 150 Gegendemonstranten hatten sich am Berliner Platz versammelt. Die Konfrontation der beiden Lager verlief friedlich.
Als der Demonstrationszug am Samstagnachmittag gegen 13.45 Uhr wieder an der Ringallee angekommen war, wurde die Spitze von etwa 30 Kindern und Jugendlichen umkreist, die mit ihren BMX-Rädern auf dem Weg zum neuen Pumptrack-Parcours im Stadtpark Wieseckaue waren. Auch wenn diese Kids in diesem Moment keinen leidgeprüften Eindruck machten, so galt doch auch ihnen das Motto der Veranstaltung »Gemeinsam für unsere Kinder«, zu der mehrere Telegram-Chatgruppen der regionalen Querdenker-Szene aufgerufen hatten.
Angemeldet worden waren bis zu 2000 Teilnehmer, nach Gießen gekommen waren letztlich deutlich weniger. Die städtische Versammlungsbehörde zählte knapp 600 Personen, die Veranstalter sprachen von knapp 700. »Von Gießen soll ein Zeichen für unsere Kinder ausgehen«, rief Organisatorin Beatrice Runkel aus Pohlheim vor Beginn der Demonstration von der Bühne herab, die auf dem Messeplatz aufgebaut worden war. Ein paar Meter weiter hingen an einem Bauzaun Kinderzeichnungen, die den Corona-Alltag mit Maskentragen, Testen und Quarantäne zeigen sollten. »Diese Maßnahmen haben mir mein Kind genommen«, fing ein ebenfalls am Zaun befestigtes Gedicht einer Mutter aus Oldenburg an. Für die Demonstration galt eine Maskenpflicht. »Wir tragen die Maske heute nicht, weil wir eine Auflage der Versammlungsbehörde erfüllen, sondern um uns mit den Kindern zu solidarisieren«, rief Runkel.
Querdenker-Demo in Gießen: Antifa und Co. von Polizei abgedrängt
Unter die Demonstranten auf dem Messeplatz hatte sich ein Gießener Kinderarzt gemischt, der ein Schild mit der Aufschrift »Gegen Dummheit gibt es keine Impfung - Nachdenken statt Quer-Denken« trug. »Ich bin wütend, dass Kinder hier für ganz andere Zwecke instrumentalisiert werden«, sagte der Mediziner.
An der Spitze des »Schweigemarschs«, der sich um kurz nach 12.30 Uhr in Bewegung setzte, fuhr ein Lautsprecherwagen. In einer Dauerschleife hörte man vom Band Stimmen von Kindern und Jugendlichen, die sich über das Maskentragen, das Testen, ausgefallene Geburtstagsfeiern oder geschlossene Freizeiteinrichtungen beschwerten.
An der Ecke Gutfleischstraße/Ostanlage hielt die Polizei, die mit einem Großaufgebot im Einsatz war, den Marsch an und drängte einige Personen aus der linksautonomen Szene ab. »Wer mit Nazis spazieren geht, hat nichts kapiert«, stand auf einem Transparent. Die Polizei erteilte nach eigenen Angaben 15 Platzverweise, nach wenigen Minuten bog die Demo auf den Anlagenring ein. Vertreter des organisierten Rechtsextremismus, die sich in den letzten Wochen zum Beispiel an Querdenker-Demos in Wetzlar oder Herborn beteiligt hatten, nahmen an dem »Schweigemarsch« laut einem szenekundigen Journalisten nicht teil. Runkel hatte vor dem Start die Überparteilichkeit der Veranstaltung betont: »Wir sind weder rechts noch links, weder oben noch unten.« Einer ihrer Mitstreiter, der sich weigerte eine Maske zu tragen, wurde von der Versammlungsbehörde aus der Demo verwiesen.
Übliche Querdenker-Parolen bei Corona-Demo in Gießen
Auf vielen mitgeführten Schildern sah man die üblichen Querdenker-Parolen. »Diktatur im Deckmantel der Gesundheit«, »Auf dem Weg in die Diktatur«, »Es sollen keine Wellen gebrochen werden, sondern Menschen« war unter anderem zu lesen. Ein Teilnehmer führte eine DDR-Fahne mit sich, auf die er die Forderung aufgemalt hatte: »Kein Impfzwang.«
Die Umrundung des Anlagenrings dauerte knapp eineinhalb Stunden, am Berliner Platz hatte sich Gegenprotest formiert, an dem laut Polizei 160 Personen teilnahmen.
Für das Bündnis »Gießen bleibt bunt« hatten die »Omas gegen Rechts« eine Versammlung organisiert, um den Aufmarsch der Querdenker nicht unkommentiert zu lassen. Fahnen von der SPD, den Jusos und der PARTEI waren vor dem Rathaus zu sehen, dazu viele Plakate mit Slogans wie »Impfen statt Schimpfen« oder »Antikörper gegen Rechts«. Als gegen 13 Uhr die Musik des »Schweigemarschs« aus der Ferne ertönte, versammelten sich die Gegendemonstranten am Straßenrand und empfingen den Zug mit lauten Buh-Rufen, »Nazis raus« und weiteren Parolen. Vor allem die Tatsache, dass die Querdenker die Kinder in den Fokus ihres Protest gerückt hatten und einige Eltern ihre Jungen und Mädchen sogar mitmarschieren ließen, sorgte bei den Gegendemonstranten für Unmut. »Hört auf, die Kinder zu instrumentalisieren«, riefen sie ihnen zu. Das prallte am Zug aber genauso ab wie der lautstark vorgebrachte Rat, mit Kindern lieber auf den Spielplatz als auf einen Schweigemarsch zu gehen.
Querdenker in Gießen fordern Ende der Maskenpflicht in Schulen
Als der Schweigemarsch den Berliner Platz passiert hatte und außer Sichtweite war, löste sich die Gegendemonstration langsam auf. Nicht wenige der Teilnehmer waren später auch bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des rassistischen Terroranschlags von Hanau zu sehen.
Die Abschlusskundgebung auf dem Messeplatz nutzte Organisatorin Runkel, um eine Beendigung aller Corona-Schutzmaßnahmen »für unsere Kinder« zu fordern. So müsse sofort die Maskenpflicht auf Schulhöfen im Landkreis Gießen aufgehoben werden. Für diese Pflicht gebe es keine Rechtsgrundlage.

Die Licher Kinderärztin Bettina Führer und die Gießener Kinder-, Jugend- und Familientherapeutin Astrid El-Hagge berichteten aus dem Praxisalltag in der Corona-Pandemie. »Die Kinder lachen nicht mehr, sie sind bedrückt und nicht mehr offen«, sagte Führer. El-Hagge berichtete, sie habe ein völlig anderes Patientenklientel bekommen, darunter seien viele Jugendliche mit Essstörungen und solche, die sich Verletzungen zufügten. Dritter im Bunde bei der Gesprächsrunde auf der Bühne war der heimische Kinderliedermacher Martin Pfeiffer. Er sagte, ihm sei seit der Wiederaufnahme seiner Konzerte die Reserviertheit der Kinder aufgefallen. »Ich will, dass sie wieder lachen.«
Querdenker in Gießen: Kritik von Kinderschutzbund
Dass Kinder und Jugendliche zu den Hauptleidtragenden des Alltags in der Corona-Pandemie zählen, ist unstrittig. Auf diesen Sachverhalt hatte im Vorfeld der Demonstration auch der Kinderschutzbund in Gießen hingewiesen. Die Organisation indes nimmt dafür die in die Verantwortung, die - wie am Samstag in Gießen - bei den Querdenker-Demonstrationen Stimmung gegen das Impfen machten.
»Dass sich ausgerechnet solche Leute als Kinderfreunde und Kinderschützer aufspielen, ist unerträglich«, hieß es Anfang Februar in einer Presseerklärung. Läge die Impfquote in der Bundesrepublik bei 90 und mehr Prozent und nicht bei 76 wie derzeit, müssten Kinder sich nicht nach wie vor mit Masken im Unterricht und einer engmaschigen Teststrategie in der Schule abfinden. (Burkhard Möller)
Bei den »Montagsspaziergängen« in Bad Nauheim gegen die Corona-Politik kommt es zu Regelverstößen. Dem möchte die Stadt begegnen und hat deshalb eine Allgemeinverfügung erlassen.