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»Putin hat keinen Plan B«

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Von: Burkhard Möller

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Linker Protest vor dem Uni-Hauptgebäude. © Burkhard Moeller

Die »Zeitenwende« und FDP-Sicherheitspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann locken am Montagabend rund 250 Zuhörer in die Aula der Universität. Störer aus dem linksextremen Spektrum konfrontiert die Rednerin mit der brutalen Kriegsführung Russlands in der Ukraine.

Kann das sein, kann so etwas im Jahr 2022 in Europa geschehen? Passieren solche Kriegsgräuel wirklich? Oder ist es Gräuel-Propaganda? »Damit sie sich nicht wehren können, werden den Frauen vor der Vergewaltigung die Handgelenke gebrochen.« Als Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann diesen unfassbaren Satz sagt, ist sie vom Podium der Aula im Unihauptgebäude ein paar Schritte nach vorne getreten in Richtung der Zuhörer, von denen einige ihren Vortrag mit lauten und zunehmend aggressiven Zwischenrufen stören. Von der Empore ruft ein junger Mann »Frieden schaffen ohne Waffen«, die FDP-Politikerin ruft unter tosendem Beifall zurück: »Wer das immer noch glaubt, hat den Gong nicht gehört.«

Der »Gong«, das sind laut Strack-Zimmermann unter anderem 2500 ukrainische Kinder, die von den Russen verschleppt worden sind. Das sind 12 000 Raketen, die Russland seit Kriegsbeginn Ende Februar auf die Ukraine abgeschossen hat. Das sind Folterungen und Erschießungen von Zivilisten, Vergewaltigungen und mittlerweile 250 000 Tote auf beiden Seiten. Strack-Zimmermann spricht durchweg von »Terrorkrieg« und einmal von »Völkermord«. »Das Leid ist unfassbar«, sagt der Gast aus Berlin.

Der Auftritt der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Bundestag im Rahmen der Ringvorlesung des Präsidenten der JLU zum Thema »Unser Krieg? - Die Zukunft der Ukraine und die Neuordnung der Welt« ist der vorläufige Höhepunkt der Veranstaltungsreihe. Trotz Eisglätte sind rund 250 Leute ins Unihauptgebäude gekommen, die Stimmung ist aufgeladen.

Vor Beginn protestieren rund 30 Personen aus dem linksextremen Spektrum auf dem Universitätsplatz. Zum Protest gegen die »Kriegstreiberin« und »Rüstungslobbyistin« Strack-Zimmermann hat die Linkspartei aufgerufen, aber gekommen sind hauptsächlich Personen aus der DKP, deren Jugendorganisation SDAJ und dem Marxistischen Studentenbund. Von der Linken sind unter anderem der Stadtverordnete Stefan Häbich und die Stadträtin Lara Herrlich anwesend. In der DKP-Reihe sieht man die Stadtverordnete Martina Lennartz. Auf dem Schild, das sie hält, steht: »Der Feind steht im eigenen Land«. Auf Flugblättern, die später von der Empore der Aula in den Saal geworfen werden, wird auch Unipräsident Prof. Joybrato Mukherjee kritisiert. Die Ringvorlesung sei mit Referenten thematisch einseitig besetzt und eine »Propagandaveranstaltung«.

Drinnen lässt Strack-Zimmermann, die zu einem der bekanntesten Gesichter der deutschen Debatte über den Ukraine-Krieg geworden ist, keinen Zweifel daran, dass die Ukraine weiterhin massiv auch mit Waffen unterstützt werden muss. Sonst werde sie von der Landkarte verschwinden. Auch mit dem deutschen Kampfpanzer Leopard II, den Strack-Zimmermann als ein »Gerät, um sich zu wehren« bezeichnet. Eine Forderung, für die sie ebenfalls Beifall erhält. Die russische Armee dürfe im Winter keine Atempause erhalten. »Putin darf nie wieder eine Chance bekommen, ein friedliches Land zu überfallen«, sagt Strack-Zimmermann. Werde Russland nicht gestoppt, würden Moldau, Georgien, die baltischen Staaten und Polen zu den nächsten Opfern der russischen Aggression. Russland könne - unter dieser Regierung - gar nicht mehr anders. »Putin hat keinen Plan B«, ist die FDP-Politikerin überzeugt.

Die »rote Linie« der rot-grün-gelben Bundesregierung zieht sie bei der Verhängung einer Flugverbotszone und dem Einsatz von NATO-Soldaten auf ukrainischem Territorium, der auch vom Völkerrecht nicht gedeckt wäre.

Die von SPD-Kanzler Scholz ausgerufene »Zeitenwende«, die ihrem Vortrag den Titel gibt, sieht Strack-Zimmermann nicht auf den Aufbau einer schlagkräftigeren Bundeswehr beschränkt, auch wirtschaftlich müsse ein Umdenken stattfinden. Angesichts der Renaissance des Imperialismus stehe das Erfolgsmodell von Exportweltmeister Deutschland und damit »unser Konsumverhalten« infrage. Aus dem Publikum auf den schlechten Ausrüstungsstand der Bundeswehr angesprochen, sagt die Referentin: »Das Sondervermögen von 100 Milliarden wird hinten und vorne nicht reichen.«

Für Lieferung von Kampfpanzern

Souverän geht Strack-Zimmermann mit der Protesteinlage zweier junger Kurden zu Beginn um, die gegen die Kriegsführung der Türkei im Nordirak protestieren, wovon die Weltöffentlichkeit und insbesondere der Westen kaum Notiz nehme. Strack-Zimmermann gibt den beiden recht und spricht von einem »Dilemma«, in dem sich die NATO angesichts der Aggression ihres Mitgliedslands Türkei befinde.

Vor Beginn der von Prof. Monika Wingender, Direktorin des Gießener Zentrums Östliches Europa der JLU, moderierten Veranstaltung, findet Strack-Zimmermann Zeit, um Parteifreunde zu begrüßen, darunter den langjährigen Bundestagsabgeordneten Dr. Hermann Otto Solms.

Die Vorlesungsreihe des Präsidenten wird am Montag, 16. Januar, an gleicher Stelle um 19 Uhr mit einem Vortrag von Dr. Sabine Fischer fortgesetzt. Sie spricht zum Thema: »30 Jahre ungelöste Konflikte in der östlichen Nachbarschaft der EU, und nun Russlands Krieg gegen die Ukraine - eine vergleichende Reflexion.«

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FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann spricht in der Uni-Aula. © Burkhard Moeller

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