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Protest gegen »Flächenfraß«

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Von: Burkhard Möller

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Kundgebung mit Traktoren vor dem Regierungspräsidium. © Oliver Schepp

Der Protest gegen die Ausweisung zusätzlicher Gewerbe- und Wohngebiete sowie von Abbauflächen im neuen Regionalplan hat Gießen erreicht. Der »Flächenfraß« war bestimmendes Thema beim zehnten Klimastreik von Fridays for Future. Bei einer Kundgebung vor dem Regierungspräsidium wurde weiteren Flächenversiegelungen eine energische Absage erteilt.

Die Zahl ist gewaltig. Auf fast 3800 Hektar oder 38 Millionen Quadratmeter summieren sich die Flächen im Entwurf des neuen Regionalplans Mittelhessen, die theoretisch in den nächsten zehn Jahren für die Erschließung neuer Wohn- und Gewerbegebiete sowie den Abbau von Lagerstätten in den rund 100 mittelhessischen Städten und Gemeinden genutzt werden könnten. Gegen diesen Plan hat sich in den letzten Monaten Widerstand der »Initiativen Bodenschutz« formiert, die sich am Freitag unter dem Motto »Kein Quadratmeter mehr« dem Klimastreik der Bewegung »Fridays for Future« anschlossen. »Für uns ist Mittelhessen mehr als ein Wirtschaftsstandort«, rief Simone Stolz für die Initiativen bei einer Kundgebung vor dem Gießener Regierungspräsidium.

Am zehnten Klimastreik von FfF Gießen nahmen rund 500 Leute teil, die am Nachmittag um den Anlagenring zogen. Aus der Marburger Straße schlossen sich mehrere Traktoren von Landwirten der AG »Bäuerliche Landwirtschaft« dem Demonstrationszug an. Mit fünf Schleppern waren es aber deutlich weniger als erhofft. »Die Bauern wollen das Wetter natürlich nutzen und haben im Moment viel zu tun«, erklärte FfF-Sprecher Finn Becker zur überschaubaren Traktor-Parade auf dem Landgraf-Philipp-Platz.

Einer der Landwirte ist Stephan Kannwischer, der für die Grünen im Hungener Stadtparlament sitzt. Letztlich sei der Regionalplan eine Ansammlung von »Investitionswünschen«, die zulasten der natürlichen Lebensgrundlagen gingen. Angesichts der Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft müsse »man dankbar sein für jeden Bauer, der noch Weidetiere zur Landschaftspflege hält«, rief Kannwischer unter Beifall.

JLU-Wissenschaftler üben Kritik

Unterstützung für die Forderungen nach mehr Bodenschutz kam von der Wissenschaft. In einem Zwiegespräch machten Prof. Lutz Breuer vom JLU-Institut für Landschaftsökologie und Ressourcenmanagement und sein Mitarbeiter Dr. Philipp Kraft die Problematik der Regionalplanung deutlich, die »im Prinzip eine ganz tolle Sache« (Breuer) sei. Tatsächlich werde aber nur der Bedarf an neuen Siedlungs- und Gewerbeflächen abgefragt, nicht jedoch der an Landschaft und Wald. Das Wort Klima komme zwar 129mal vor im Regionalplan, aber der Klimawandel werde als »Problem irgendwo in der Zukunft« gesehen, sagte Kraft.

»Als eine ganz, ganz große Baustelle« nicht nur im Regionalplan bezeichnete Dietmar Jürgen von der Initiative Verkehrswende Hessen das Thema Verkehr. Fortschritte wie die Reaktivierung der Lumdatalbahn vollzögen sich im Schneckentempo. In der Stadt Gießen wiederum fokussiere sich die Debatte zu stark auf die Radspur am Anlagenring. »Was eine Stadt wie Gießen braucht, ist eine Innenstadt, in die Autos nur noch in Ausnahmefälle einfahren dürfen«, sagte Jürgens.

Kritik an Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich (CDU) äußerte Simone Stolz von den »Initiativen Bodenschutz«. Der RP sei verantwortlich für die Obere Naturschutzbehörde und trommele gleichzeitig als Vorsitzender des Wirtschafts-Netzwerks Mittelhessen e. V. für den Ausbau der A 49. »Das ist ein klarer Interessenkonflikt«, sagte Stolz, die bei den Grünen in Lahnau engagiert ist.

Gegenüber der GAZ hatte Ullrich den Regionalplan-Entwurf als »Angebotsplanung« bezeichnet. Die Kommunen könnten die darin abgebildeten Flächen nutzen, müssten dies aber nicht. Ähnlich hatten sich in dieser Woche Gießens Planungsdezernentin Gerda Weigel-Greilich (Grüne) und Planungsamtsleiter Dr. Holger Hölscher geäußert. Im Durchschnitt würden nur etwa 25 Prozent der dort aufgeführten Flächen in Anspruch genommen, sagte Hölscher.

Was die Stadt Gießen betrifft, enthält der Regionalplan 15 Flächen, die im Rahmen einer Strategischen Umweltprüfung bewertet worden waren. Es geht um acht Wohnsiedlungsflächen, fünf Gewerbegebiete und zwei Lagerstätten für Ton und Sand, die abgebaut werden können.

Im Gießener Stadtparlament waren diese Flächenausweisungen nicht diskutiert worden, weil der Magistrat dazu keine Stellungnahme vorgelegt hatte. Begründung von Weigel-Greilich: Da die Stadt mit den meisten dieser Flächen nichts vorhabe, sei eine Diskussion über sie überflüssig. Stehe eine Inanspruchnahme von Flächen - wie bei der Erweiterung von Bieber+Marburg - zur Diskussion, werde dies im Rahmen der städtischen Bebauungsplanung im Parlament beraten.

Ortsbeirat gegen Allendorf-Nord

Eine Wortmeldung zu den besagten Gießener Regionalplan-Flächen kam in dieser Woche aus Allendorf. Ortsvorsteher Thomas Euler (SPD) bekräftigte die Ablehnung des Ortsbeirats einer Ausdehnung des Wohngebiets Allendorf-Nord (Ehrsamer Weg) in die Wiesen Richtung Kleinlinden.

FfF hatte sich für die Kundgebung vor dem RP entschieden, weil am Freitag die Frist zur Einreichung von Stellungnahmen und Einwendungen zum und gegen den Regionalplan ablief.

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