»Praktikerin der Versöhnung«

Christel Buseck heißt die 29. Trägerin der Hedwig- Burgheim-Medaille. Bei der Verleihung am Donnerstagabend zeichnen Oberbürgermeister und Laudatoren das Bild einer engagierten und zupackenden »Versöhnerin« mit einem »langen Atem für Erinnerungskultur«. Ihr »Schlüsselmoment« war auch einer für ganz Nachkriegsdeutschland.
Die Wertschätzung für einen Menschen muss groß sein, wenn man vier Stunden Flug auf sich nimmt, um bei einer Ehrung für diese Person dabei zu sein. Am Donnerstagabend war das so bei der Verleihung der Hedwig-Burgheim-Medaille in dem Saal des Alten Schlosses, der nach Gießens Partnerstadt Netanya benannt ist. Aus der Stadt am Mittelmeer waren private Freunde und eine Delegation der Eldad Highschool nach Gießen gekommen, um Christel Buseck die Ehre zu erweisen. »Wunderbar, dass Sie gekommen sind«, freute sich auch Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher über die weit gereisten Gäste.
Allein deren Anwesenheit bezeugte, dass die diesjährige Trägerin der höchsten Auszeichnung, die die Stadt Gießen zu vergeben hat, ihr Engagement für die Versöhnung zwischen Deutschen und Israelis nicht nur bei Archivrecherchen ausgelebt hat, sondern vor allem auch im Miteinander der Menschen. Die in Kinzenbach lebende Christel Buseck sei eine »Praktikerin der Versöhnung«, sagte Pfarrer Cornelius Mann von der Christlich-Jüdischen Gesellschaft, der die Laudatio auf die Preisträgerin gemeinsam mit Brigitte Itzerott hielt.
Wer sich in Gießen in den letzten Jahrzehnten unter lokalen Aspekten mit Themen wie jüdisches Leben, Holocaust und Israel befasst hat, kam und kommt an Christel Buseck nicht vorbei. Auch das Auswahlgremium zur Hedwig-Burgheim-Medaille, mit der die Stadt Gießen an das Leben der von den Nationalsozialisten 1943 in Auschwitz ermordeten Pädagogin und Leiterin des Gießener Fröbel-Seminars erinnert, kam das in diesem Jahr nicht. Gewürdigt wurde damit ein fast lebenslanges Engagement. Von einem »langen Atem für Erinnerungskultur« sprach Laudator Mann.
Besuch beim Auschwitz-Prozess
Er erwähnte auch den »Schlüsselmoment« von Christel Buseck, der das Interesse und Engagement an ihrem späteren Lebensthema geweckt habe. Als Schülerin habe sie in den 1960er Jahren an einem Klassenausflug zum Frankfurter Auschwitz-Prozess teilgenommen. Das Mammutverfahren gegen Verantwortliche des Massenmords an den Juden gilt auch als Schlüsselmoment in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Erstmals wurde die Dimension der Verbrechen in einer breiteren Öffentlichkeit deutlich. Wenige Jahre später habe sie erstmals Kontakt zu Überlebenden des Holocaust gehabt, sagte Buseck später in ihres Dankesrede. »Diese Begegnungen haben mich in meiner Überzeugung gestärkt, mich bei diesem Thema zu engagieren«, erinnerte sich die Preisträgerin.
Die Liste der Projekte und Verdienste, die Christel angeschoben, umgesetzt und erworben hat, ist lang. Sie ist Wegbereiterin der Schulpartnerschaft zwischen ihrer »Ricarda« und der Eldad Highschool im Netanya, sie hat die Begegnungswochen mit emigrierten Gießener Juden und Holocaust-Überlebenden mitorganisiert und begleitet, sie arbeitet seit Jahrzehnten in der Christlich-Jüdischen-Gesellschaft mit, ist treibende Kraft der lokalen Stolperstein-Initiative, hat als Lehrerin der »Ricarda« das alljährliche Gedenken an das November-Pogrom von 1938 mitgestaltet und Schulklassen die Synagoge gezeigt, sie hat dazu beigetragen, dass das Archiv der ehemaligen Juden aus Gießen und Umgebung nach dem Tod von Vereinsgründer »Jossi« Stern ins Gießener Stadtarchiv überführt werden konnte, und sie sorgte dafür, dass jüdischen Persönlichkeiten wie dem Unternehmer und Stifter Siegmund Heichelheim im Stadtbild gedacht wird.
Dass das alles gelingen konnte, habe die Preisträgerin auch ihrer »überschäumenden Energie und Tatkraft« zu verdanken, sagte Laudatorin Brigitte Itzerott, die ebenfalls Lehrerin an der Ricarda-Huch-Schule war. Buseck habe unter anderem die Lebensgeschichten jüdischer Schülerinnen recherchiert und ihr Thema »zum Thema der gesamten Schule« gemacht und eine »Schultradition« begründet.
Die Preisträgerin sieht in ihrem Engagement auch die Erfüllung eines »ständigen Auftrags«, Antisemitismus und Rassismus die Stirn zu bieten. Eine Notwendigkeit, die auch OB Becher, der die Amtskette trug, in seiner Begrüßung betonte und ankündigte, dass sich der »Runde Tisch Antisemitismus« demnächst konstituieren werde. Zielsetzung dieses Gremiums werde es auch sein, »das Verständnis für jüdisches Leben zu fördern«.
Gedenken an Deportation
Die von Rolf Weinreich, Lukas Rink und Marco Weisbecher musikalisch umrahmte Feierstunde ging nicht zu Ende, ohne dass die Preisträgerin ihr Publikum in die Pflicht nahm. Christel Buseck lud für Freitag, 16. September, ab 17 Uhr in den Hof der Goetheschule ein. Dort wird aus Anlass der Deportation der Gießener Juden vor 80 Jahren eine Gedenkfeier stattfinden.