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Postkarten von Gießen aus in die ganze Welt schicken

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Von: Sebastian Schmidt

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Hundertausende Menschen auf der ganzen Welt schicken sich über das Portal Postcrossing.com Postkarten hin und her. Auch 163 Brieffreunde aus Gießen sind dort angemeldet. © Sebastian Schmidt

Corona hat bei einigen vormals angestaubten Hobbys für eine Renaissance gesorgt. Unser Autor hat angefangen Postkarten zu schreiben, die Empfänger kennt er nicht.

Die erste Postkarte seit Jahren, die der Absender in den Briefkasten neben dem Haus wirft, geht an eine Frau in den Vereinigten Staaten. Zu dem Wenigen, das er von der Amerikanerin weiß, gehört, dass sie sich vegan ernährt. Also schickt er ein Rezept für Baba Ghanoush, einen Auberginen-Dip. Den wird sie bestimmt mögen. Dann heißt es: warten. Erst elf Tage später erreicht ihn per E-Mail die Nachricht, dass die Postkarte angekommen ist und ein paar nette Worte dazu. Das Rezept will sie unbedingt ausprobieren. Dadurch steigt die Motivation, wieder eine Karte zu schicken, wieder an eine unbekannte Person. Die Adressen der Empfänger und jeweils ein kleiner Text mit Informationen stammen von Postcrossing.com. Über das Portal kann man Briefe an Menschen auf der ganzen Welt schicken, die ebenfalls beim Postcrossing mitmachen und bekommt im Gegenzug von anderen Mitgliedern nach Zufallsprinzip eine Postkarte.

Gießen: Postkarten zu schreiben ist unaufgeregt

Zugegeben: Das klingt sehr unaufgeregt, und ist es oft auch. Vielleicht macht aber auch das einen Teil des Reizes aus: Das Aussuchen einer Karte, das Schreiben des Textes, und das Warten auf die Rückmeldung - alles ist entschleunigt und braucht seine Zeit im Gegensatz zur schnellen Nachricht auf Whatsapp und Co.

Gießen: Eine Postkarte auf dem Weg in die Ost-Ukraine

Ein entspanntes Hobby eben, das aber auch aufregende Momente bereithält: Zum Beispiel dann, wenn der Brief zu einer Frau in der Ost-Ukraine einfach nicht ankommt. Zu dem Zeitpunkt hatte Russland die Ukraine zwar noch nicht überfallen, aber der Osten war bereits ein Krisengebiet. Da blickt man dann jeden Tag schon mit einer gewissen Anspannung in sein E-Mail-Postfach, bis nach 37 Tagen doch die Eingangs-Bestätigung kommt. Ebenfalls sehr spannend: Ein älterer Herr aus Neuseeland erzählt, dass er in jüngeren Jahren der Kronzeuge einer waschechten Ufo-Sichtung gewesen war, den sogenannten »Kaikoura lights«. Eine kurze Suche im Internet zeigt den Mann in einer Fernseh-Dokumentation über die ungeklärten Lichter am Himmel. Sicher etwas, worüber er seinen Enkeln heute noch Geschichten erzählt.

163 Postcrossing-Mitglieder aus Gießen

Diese kleinen Informationsfitzel aus dem Leben völlig fremder Menschen machen einen weiteren Teil des Reizes von Postcrossing aus. Und die Menschen kommen aus der ganzen Welt, wobei die meisten der mehr als 800 000 Mitglieder aus Russland, Taiwan und den USA stammen. Deutschland liegt mit 55 000 Brieffreunden auf Platz fünf, 163 davon leben in Gießen.

Gießen: Postkarten zu schreiben kann teures Hobby sein

Von denen haben manche nur eine handvoll Karten verschickt, aber der Zähler der Spitzenreiterin aus der Stadt zeigt über 1500 Nachrichten an. Wenn man 95 Cent für die Briefmarke, das ist die Portogebühr für eine internationale Postkarte, und ein bis zwei Euro Kosten pro Karte veranschlägt, kommen mehr als 3000 Euro für das Hobby zusammen.

Die Vielschreiberin von der Lahn ist allerdings auch bereits seit fast 15 Jahren dabei, und trotzdem noch ein ganzes Stück von dem Postcrossing-Spitzenreiter entfernt. Willi. ebenfalls aus Deutschland, hat bereits 33 743 Karten verschickt.

Postkarten: Liebe aus Gießen verschicken

Und im Gegenzug auch fast genauso viele Karten erhalten. Die sind bisweilen kleine Kunstwerke. Natürlich kennt jeder diese Standard-Ansichtskarten mit Sehenswürdigkeiten einer Stadt, aber dann gibt es auch Karten, die ausgefallene Zeichnungen zeigen, wie ein Reiter auf einem Phönix. Oder Karten, die gleichzeitig ein Wimmelbild sind: Wo versteckt sich Waldo?

Manche Menschen auf Postcrossing geben in ihren kleinen Texten auch an, dass sie sich besonders über Karten mit einem bestimmten Motiv freuen würden, wie einem Tier oder auch einer Burg. Viele wünschen sich aber etwas aus der Stadt zu sehen, aus der man selbst kommt. Da könnte man es sich als Gießener natürlich mit dem Elefantenklo einfach machen - und die Empfänger zum Lachen bringen. Oder man wählt Postkarten mit dem »Liebe«-Graffiti am Samenhahn-Gebäude. Liebe um die Welt zu schicken, hat doch was.

Zugestellte Briefe in Gießen

Wie viele Briefe und Postkarten aus Gießen verschickt werden, wird nicht erfasst, erklärt Post-Sprecher Alexander Böhm. Aber es gibt Statistiken über die pro Jahr in Gießen zugestellten Briefsendungen.

2021: 20,5 Millionen

2020: 21,2 Millionen

2019: 21,7 Millionen

Die Post schätzt, dass etwa 2 Prozent davon Postkarten ausmachen.

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