Ohne Stress im Klassenzimmer

In der Grundschule lernen Kinder viel über das Sozialverhalten in einer Klasse. Das pandemiebedingte Homeschooling jedoch hat dies erschwert. Deshalb fand jetzt an der Gießener Liebigschule ein spezielles Training statt. Kinder der fünften Klassen sollten dort lernen, wie sie mit Krisen umgehen und in der Klasse wertschätzend agieren können.
Welche Auswirkungen die vorübergehenden pandemiebedingten Schließungen der Schulen und der Distanzunterricht auf die Schülerinnen und Schüler hatten, wird weiterhin diskutiert. Alexandra Renkawitz ist sich sicher, dass dabei nicht nur Lerninhalte, sondern auch das Sozialverhalten in den Blick genommen werden sollte. Auf Anregung des Leiters der Liebigschule, Dirk Hölscher, fand dieser Tage ein Resilienztraining für die fünften Klassen statt; eingebunden waren dabei die Klassenlehrerinnen und -lehrer. Die Kinder sollten lernen, wie sie mit Krisen umgehen und wie sie mit anderen Klassenkameraden wertschätzend agieren können.
Renkawitz ist an der Lio keine Unbekannte. Ab November 2021 war sie dort als Lerncoach tätig und half jungen Menschen dabei, den Spaß an der Schule wiederzufinden. Nun war sie jeweils drei Doppelstunden lang in den fünf fünften Klassen am Gymnasium zu Gast. Warum die Fünfer? »Die Kids dieser Klassen gehören zu den Menschen, die in den Homeschooling-Zeiten besonders gelitten haben«, sagt Renkawitz. »Das Ende der Grundschulzeit ließ viele von ihnen in einer Art Vakuum zurück.« Gerade in den zweiten und dritten Klassen lernten die Kinder, im Klassenverband zu agieren. »Jetzt sind sie in der weiterführenden Schule und müssen soziales Miteinander und Leistungsbereitschaft neu lernen«, sagt sie.
Wertschätzende Kommunikation
Die Fünftklässler an der Lio kommen nicht nur aus der Stadt Gießen, sondern auch aus dem Kreisgebiet, aus dem Lahn-Dill- und Wetteraukreis. Für viele ist der Wechsel an die weiterführende Schule damit mit Ungewissheiten verbunden und kann zu einer Herausforderung werden.
Dass Kinder in der Schule auch voneinander und miteinander lernen, ist kein Geheimnis. Dies, sagt Renkawitz, sei während des Distanzunterrichts zwangsläufig zu kurz gekommen. Dazu müssen die Kinder aber die Mimik und Gestik der Mitschüler deuten können. Im Training geht es deshalb genau darum, diese Art von Kommunikation zu verstehen. Ein weiteres Thema sei Selbst- und Fremdwahrnehmung gewesen, erzählt Renkawitz. So hätten die Kinder ihre eigenen Stärken beschreiben und Wertschätzendes über ihre Mitschüler sagen sollen.
Bei anderen Übungen sei es darum gegangen, herauszufinden, wann sich die Kinder fokussieren und im positiven Sinne Scheuklappen tragen und wann sie ihren Blick weiten sollten, »damit sie bemerken, wie breit ihre Wahrnehmung sein kann«, sagt Renkawitz. Zusätzlich biete die Gießener Yogalehrerin Sabine Diehl Entspannungsübungen für die Fünftklässler an. Auf diese spielerische Art sollten die Kinder erfahren, dass Schulen sichere Orte seien, an denen sie sich vor nichts fürchten müssten.
Renkawitz bezeichnet dieses Training als »Testballon«. Sobald die Lehrkräfte Rückmeldungen geben, wie sich das Training auf die Kinder ausgewirkt hat, soll es im Anschluss eine Evaluation geben. Vielleicht gibt’s dann eine Neuauflage des Trainings.