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Ogur Sazi, Oud und Rahmentrommel erklingen

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Mustafa Kakour, Markus Wach und Stephan Pussel (v. l.) begeistern mit fremdartigen Klängen und ihrem feinsinnigen Zusammenspiel. © Christian Lugerth

Gießen (clg). André Heller sprach einmal davon, dass die wahren Abenteuer meist im Kopf stattfänden. Dies war kürzlich auf faszinierende Art und Weise in der Thomas-Morus-Kirche zu erleben. Sharqstan (dt. »Land im Osten«) waren eingeladen, das Septemberprogramm der Kulturkirche 2022 zu eröffnen.

Sharqstan, gegründet 2017, das sind im Kern Mustafa Kakour, der 2015 aus Syrien nach Deutschland kam, und der Multiinstrumentalist Markus Wach. Für diesen Auftritt holten sich die beiden Stephan Pussel als Perkussionist dazu.

Gleich das erste Lied, »Üsküdara«, eine traditionelle türkische Melodie, definierte die Atmosphäre des Abends. Wachs Instrument, eine Ogur Sazi, beginnt ein langes Intro, dann steigt Kakour vorsichtig mit seiner Oud ein. Die zwei Saiteninstrumente umkreisen sich, bis Pussels Rahmentrommel sie zu mehr Tempo und Intensität antreibt. Ein Crescendo, ein Kopfnicken oder hörbares Einatmen und das Lied verklingt und fliegt davon wie ein kleiner Vogel. Welche konzentrierte Leichtigkeit!

Eine alte Melodie aus Shiraz im Iran

Und jedes der Lieder scheint ganz ohne gesungene Worte eine eigene Geschichte zu erzählen. In »Heyla li min keribe«, einem jesidischen Lied in einer dem westlichen Ohr fremden Tonart (»Hier klingt es schief, für uns normal!«, so Kakour) duellieren sich die Oud und die Tar, ein iranisches Instrument, fast wie zwei Rockgitarren, bis Pussel mit einem fast schon gebieterischen Solo auf der Darbuka, einer arabischen Handtrommel, die Streithähne trennt. Im nächsten Song, »Balal Balalam«, eine alte Melodie aus Shiraz im Iran, umtanzen sich Wach und Kakour, fordern sich die Instrumente gegenseitig zum Tanz auf, wiegen sich hin und her. Man meint, einem Hochzeitstanz beizuwohnen, bis die Trommel energisch zum Altar bittet und alles auf einen gemeinsamen Blick hin schweigt. Ein kleiner Höhepunkt ist die Improvisation auf der Körpertambura, ein sogenanntes Monochordinstrument, das von Pussel zart gestreichelt wird und so einen flächigen Klangteppich erzeugt. Die Moruskirche füllt sich bis unters Dach mit diesen Klängen wie ein ferner Tempel. Dann Pussels Stimme, eine Art Obertongesang, der anschwillt, während die Saiteninstrumente über das schwebende Thema abwechselnd und gemeinsam meditieren. Beeindruckend feines Zusammenspiel der drei Musiker.

Das Publikum war vom ersten Lied an in Bann gezogen und erklatschte sich begeistert eine Zugabe. Vor dieser betrat Veranstalter Jakob Handrack die Bühne, dankte und fragte sich und das Auditorium, ob es sich hier etwa um »kulturelle Aneignung« handeln könne, ein augenzwinkernder Einwurf in Zeiten überhitzter Debatten. Die Zugabe noch und ein intensiver Abend nahm sein Ende. Ein schöne Reise.

Markus Wach, der Melodien und Instrumente aus dem Mittleren Osten und Asien sammelt, sprach davon, wie traurig es sei, dass in den Ursprungsländern viele musikalische Traditionen aussterben und wieviel Hingabe und Arbeit es bedeute, das Überleben dieser Musik zu ermöglichen. Es lohnt unbedingt, sich auf markuswach.de umzuschauen. Dort lauern Geschichten.

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