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Vorwurf der sexuellen Beleidigung: Oberarzt klagt gegen Krankenhaus

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Von: Jens Riedel

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Das St.-Josefs-Krankenhaus Balserische Stiftung, das seit Längerem umgebaut und erweitert wird, ist in einen unappetitlichen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht verwickelt.
Das St.-Josefs-Krankenhaus Balserische Stiftung, das seit Längerem umgebaut und erweitert wird, ist in einen unappetitlichen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht verwickelt. © Oliver Schepp

Ein Oberarzt soll an einem Krankenhaus in Gießen eine 15-Jährige sexuell beleidigt haben. Der Mediziner erhält eine Abmahnung, sieht sich aber als Opfer einer Verleumdung.

Gießen – Aufgrund einer vorgeworfenen sexuellen Beleidigung einer minderjährigen Patientin hat das St.-Josefs-Krankenhaus Balserische Stiftung einen Oberarzt abgemahnt und hart sanktioniert. Dadurch ist es dem Arzt nicht mehr möglich, seinen Beruf so umfassend wie zuvor auszuüben. Zudem wurde ihm das Gehalt gekürzt. Der Oberarzt, der seit über 15 Jahren in dem Krankenhaus beschäftigt ist, klagt nun vor dem Arbeitsgericht Gießen: Er fordert die Rücknahme der umfangreichen Sanktionen, da er die ihm vorgeworfene Beleidigung nicht ausgesprochen habe.

Was war passiert? Der Oberarzt soll eine 15-jährige Patientin, die wegen starker Unterleibsblutungen und einer eingerissenen Vagina notoperiert werden musste, laut Aussage des Mädchens vor der Operation sexuell beleidigt haben. Er soll sinngemäß die Worte »Na, wohl zu stark gefickt?« verwendet haben. Dieser Vorwurf wird in einer E-Mail geäußert, die die Eltern der jungen Patientin nach der gut verlaufenen Operation der Krankenhausleitung zugestellt und in der sie sich über die vermeintlich geäußerten Worte des Oberarztes beschwert hatten. Das Krankenhaus verbot daraufhin dem Arzt, minderjährige Patienten zu behandeln, entzog ihm weitere dienstliche Befugnisse, mahnte ihn ab, forderte von ihm ein polizeiliches Führungszeugnis und strich ihm eine Gehaltszulage in Höhe von rund 3000 Euro monatlich. Dagegen wehrt sich der Arzt vor Gericht. Er habe die Beleidigung nicht geäußert und werde zu Unrecht sanktioniert.

Streit zwischen Oberarzt und Krankenhaus: Richter zweifelt an Glaubwürdigkeit des Mädchens

Richter Michael Schneider gab vor der 11. Kammer des Arbeitsgerichtes der Krankenhausleitung und ihrem Geschäftsführer zu bedenken, dass sie den Wahrheitsgehalt der Aussage der Patientin nicht überprüft habe. Das 15-jährige Mädchen stand zum Zeitpunkt der angeblichen Beleidigung aufgrund ihrer Verletzung unter Schock und hatte viel Blut verloren. Zusätzlich könnte ihr Erinnerungsvermögen aufgrund des Einflusses der Narkosemittel getrübt worden sein.

»Ich verstehe nicht, dass Sie als Krankenhausleitung die Zeugin nicht persönlich angehört haben. Es wäre naheliegend gewesen, sie zu fragen, ob das, was in der E-Mail der Eltern steht, stimmt«, sagte Schneider.

Gießen: Krankenhaus rechtfertigt Vorgehen im Streit mit Oberarzt

Die strittigen Worte sollen gefallen sein, als der Oberarzt und ein Anästhesiepfleger das Mädchen in Gegenwart einer Assistenzärztin sowie einer Stationsschwester vor dem OP-Saal empfangen haben. Der Oberarzt, der Pfleger, die Assistenzärztin und die Krankenschwester sollen allerdings bei einer internen Befragung durch eine Kommission des Katholischen Krankenhaus erklärt haben, dass diese beleidigenden Worte nicht gefallen seien. Dem Vernehmen nach gehörte der Kommission neben dem Geschäftsführer auch der Ärztliche Direktor, der damalige Chefarzt der Gynäkologie und die Schwester-Oberin des Krankenhauses an.

Der Richter machte deutlich, dass die Anzahl und Härte der gegen den Arzt verhängten Sanktionen aufgrund der Sachlage vermutlich weder verhältnismäßig noch arbeitsrechtlich angemessen seien. Die Krankenhausleitung rechtfertigt ihr Vorgehen indes damit, dass ein katholisches Krankenhaus aufgrund der sexuellen Gewalt, die Menschen in der Vergangenheit in vielen katholischen Einrichtungen erleiden mussten, nun besonders sensibel und konsequent gegen jegliche Arten von sexuellen Beleidigungen oder Übergriffen vorgehen müsse.

Gießen: Abgemahnter Arzt spricht von Verleumdung

Eigenartig an dem Fall ist: Obwohl alle Beteiligten der Aussage des Mädchens widersprachen und angaben, dass die Worte »zu stark gefickt« nicht gefallen seien, hat sich die Krankenhausleitung bei den Eltern und dem Mädchen schriftlich entschuldigt und ihnen bestätigt, dass diese Worte tatsächlich gefallen seien. Der Oberarzt sieht sich durch dieses - ohne sein Wissen verfasste - Schuldeingeständnis zusätzlich verleumdet, diskreditiert und in seinem Ruf geschädigt. Er fordert deshalb neben der Zurücknahme der Sanktionen auch ein Schmerzensgeld.

»Was die Rechtmäßigkeit der Abmahnung betrifft, werden wir nicht umhinkommen, das Mädchen vor Gericht als Zeugin zu hören«, gab Schneider zu bedenken. Einen vorgeschlagenen Vergleich in der Form, dass das Krankenhaus einige Sanktionen zurücknimmt, oder man sich mit dem Oberarzt - gegen Abfindung - auf eine Aufhebung des Arbeitsverhältnisses einige, lehnten beide Streitparteien ab.

Ein vorausgegangener Gütetermin war ebenfalls ergebnislos geblieben. Dabei war angeklungen, dass das Mädchen irrtümlich eine andere Aussage des Oberarztes auf sich bezogen haben könnte. Dabei soll es sich um den Satz »Was habt ihr denn so lange getrieben?« handeln. Diesen Satz soll der Oberarzt sinngemäß zu der Assistenzärztin und der Stationsschwester gesagt haben, die das Mädchen zum OP begleiteten. Denn als die Notoperation angekündigt worden war, warteten der Oberarzt und ein Pfleger darauf, dass die Patientin zum OP-Saal gebracht wurde. Weil dies länger dauerte als erwartet, habe der Oberarzt diesen Satz zu dem Personal gesagt - was die Patientin auf sich bezogen haben könnte.

Gießen: Geht es im Streit zwischen Oberarzt und Krankenhaus um mehr?

Der Richter gelangte am Ende des ersten Kammertermins zu dem Eindruck, dass es in dem Streit um mehr gehen könnte als um eine vermeintliche Beleidigung gegenüber einer jungen Patientin.

Nach Ansicht des Klägers und seines Anwalt versuche das Katholische Krankenhaus, den Oberarzt systematisch zu verleumden und als Mitarbeiter loszuwerden. Hintergründe dafür könnten eine außertarifliche Gehaltszulage für den Oberarzt in Höhe von rund 3000 Euro im Monat sein, die dieser vor einigen Jahren für sich erwirkte. Zudem hatte das Krankenhaus vor etwa fünf Jahren einen Arbeitsgerichtsprozess gegen den Bruder des Klägers verloren, der ebenfalls in dem Krankenhaus gearbeitet hatte und der sich gerichtlich gegen seine Kündigung gewehrt hatte. Damals musste das Katholische Krankenhaus dem Bruder des Oberarztes eine Abfindung von über einer halben Million Euro zahlen.

Die Akte in dem aktuellen Arbeitsgerichtsverfahren umfasst bereits 500 Seiten. Das Verfahren wird fortgesetzt. (Jens Riedel)

In einem anderen Fall landete die Behandlung eines Herzinfarkts im UKGM Gießen vor Gericht.

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