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Ungeimpfte Pfleger erleben Niederlage in Gießen: Vor Gericht wird‘s phasenweise abenteuerlich

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Von: Stefan Schaal

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Bis Ende dieses Jahres sind André Martin Desch (l.) und Oliver Wiemers (r.) freigestellt. Im Rahmen ihrer Klage steht im Juli das Hauptverfahren an.
Bis Ende dieses Jahres sind André Martin Desch (l.) und Oliver Wiemers (r.) freigestellt. Im Rahmen ihrer Klage steht im Juli das Hauptverfahren an. © Stefan Schaal

Nachdem ein Seniorenzentrum in Pohlheim zwei Mitarbeiter freigestellt hat, weil sie eine Corona-Impfung verweigern, wehren sich diese nun vor Gericht. Jetzt sind beide in einem Eilverfahren gescheitert.

Gießen/Pohlheim - Sie setzen ihre berufliche Zukunft aufs Spiel. Ob André Martin Desch und Oliver Wiemers jemals wieder als Pflegekräfte arbeiten werden, ist ungewiss. Das Alloheim-Seniorenzentrum in Pohlheim (Kreis Gießen), in dem sie bis Mitte März gearbeitet haben, hat sie freigestellt. Die Begründung: Der 29 Jahre alte bisherige Wohnbereichsleiter aus Braunfels und die 36 Jahre alte Pflegefachkraft aus Pohlheim weigern sich, sich zum Schutz vor Corona impfen zu lassen.

Mikrofone hängen vor ihren Gesichtern, als Desch und Wiemers am Dienstagnachmittag (12.04.2022) vor dem Gießener Arbeitsgericht stehen. Gerade sind sie vor der fünften Kammer des Gerichts in einem Eilverfahren gescheitert, ihre Freistellung bis Ende dieses Jahres bleibt somit vorerst bestehen. Die beiden Männer sprechen Sätze aus, die man in den vergangenen zwei Jahren während der Pandemie immer wieder von Schwurblern gehört hat. Er sei nicht grundsätzlich gegen das Impfen, sagt Desch. Ihm gehe es um Freiheit. »Die Frage, ob ich mich impfen lasse oder nicht, ist ein Eingriff in meine Privatsphäre.«

Eilverfahren in Gießen: Freistellung wegen fehlender Corona-Impfung rechtens?

Immer wieder fragt ihn eine Reporterin des Hessischen Rundfunks, wovor er denn Angst habe. Was halte ihn vom Impfen ab? »Ich habe keine Angst«, sagt Desch. Aber beim Essen, fügt er hinzu, könne doch auch jeder entscheiden, was er mag oder nicht. Er möge es eben nicht, sich impfen zu lassen. Dann erklärt er, im Seniorenzentrum seien die meisten Bewohner geimpft und somit geschützt. »Wenn jemand ein Risiko eingeht, dann bin das doch ich als Ungeimpfter.«

Das Eilverfahren in Sitzungssaal 306 des Gießener Arbeitsgerichts hat durchaus Signalwirkung, es ist eines der ersten dieser Art im Rahmen der Impfpflicht in Einrichtungen des Gesundheits- und des Pflegewesens. Weil die beiden Männer bis zum Stichtag am 15. März keinen Nachweis über eine Impfung vorgelegt hatten, stellte ihr Arbeitgeber sie ohne Fortzahlung des Gehalts frei. Mit den fehlenden Nachweisen einer Impfung oder eines Genesenenstatus sei - wie vom Seniorenzentrum in Pohlheim begründet - eine Tätigkeitsvorsaussetzung nicht erfüllt, erklärt Richterin Susanne Blech. Das Infektionsschutzgesetz gebe Arbeitgebern im Bereich der Pflege in solchen Fällen die Möglichkeit einer Freistellung.

Ungeimpftes Pflegepersonal: Gießener Richterin blockt politische Debatte ab

In nüchternen Worten weist Blech die einstweilige Verfügung der beiden Männer ab. Das Gericht in Gießen lässt auch das Argument des Rechtsanwalts der beiden Kläger, Emmanuel Kaufmann, nicht gelten, wonach das Infektionsschutzgesetz zunächst eine Meldepflicht der ungeimpften Beschäftigten vorsehe »und kein Recht auf eine Freistellung«.

Richterin Blech und auch der Vertreter des Seniorenzentrums lassen sich auf Debatten über Sinn und Zweck des Impfens nicht ein, die Kaufmann mehrfach anstößt. Sie wolle weder wissenschaftliche noch politische Argumente austauschen, sagt Blech. Es gehe einzig um den Text des Infektionsschutzgesetzes.

Gießen: Ungeimpfte Pflegekraft stellt falsche Behauptung zu Corona-Ausbruch auf

Tatsächlich stellt Kaufmann den Sinn von Corona-Schutzimpfungen in Frage. »Eine Impfung bringt keinen Fremdschutz«, behauptet der Rechtsanwalt. Seine Mandanten würden dem Seniorenzentrum »nicht wehtun«, sagt er. »Im Gegenteil: Sie stützen es.« Die Freistellung der beiden Männer sei zum Nachteil der Bewohner, weil nun Arbeitskraft fehle. Man könne seine Mandanten nicht dafür »in Misskredit bringen, dass sie atmen«.

Dann wird es abenteuerlich im Gießener Gerichtssaal. Desch, der freigestellte Wohnbereichsleiter, meldet sich zu Wort. Er habe erfahren, dass es vor wenigen Tagen zu einem massiven Corona-Ausbruch in dem Pohlheimer Seniorenzentrum gekommen sei, erklärt er. 20 Menschen seien infiziert. »Weil Ungeimpfte dort nicht mehr arbeiten, müssen geimpfte Personen zu dem Ausbruch beigetragen haben.« Diese Behauptung dementiert eine Sprecherin der Alloheim-Residenzen auf Nachfrage dieser Zeitung. Aktuell gebe es in dem Seniorenheim in Pohlheim keinen einzigen Corona-Fall.

Keine Rückkehr nach Pohlheim (Kreis Gießen): Ungeimpfte Pfleger gehen in nächste Instanz

Draußen kündigen die beiden Kläger nach dem Eilverfahren an, den Schritt in die nächste Instanz gehen zu wollen. Zunächst steht im Juli das Hauptverfahren an. Die Freistellung sei belastend, erklären sie. Er liebe den Beruf in der Pflege, sagt Desch. Möglicherweise aber müsse er auf seinen zweiten Ausbildungsberuf zurückgreifen. Der bisherige Wohnbereichsleiter ist gelernter Bestatter. (Stefan Schaal)

Hier berichtet eine junge Pflegekraft aus Pohlheim über die hohe Belastung während der Pandemie. Die große Mehrheit seiner Kollegen sei geimpft, sagt der Mann.

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