Bekanntes Café in Gießen kehrt an neuem Standort zurück
Nach einer langen Corona-Pause geht es für ein Café in Gießen wieder los. Der neue Standort liegt mitten in der Innenstadt.
Gießen - Das Café Nachtlicht ist wieder da. Das ist eine gute Nachricht für Menschen, die an Wochenenden nicht gerne allein sein möchten. Als das Projekt Ende 2019 begann, zeigte sich schnell, dass der Bedarf groß ist. Dann kam mit Corona ein jähes Ende. Die Isolation belastete alle, aber erst recht jene, denen es ohnehin nicht gut geht. Höchste Zeit für einen Neustart, sagen die Initiatoren.
Mehr Innenstadt geht nicht. Cafés, Imbissbuden, Dönerläden, Wohnhäuser, der Marktplatz ein paar Schritte entfernt. Da das Freiwilligenzentrum von der Ludwigstraße in das DGB-Haus in der Walltorstraße gezogen ist, wird auch das Café Nachtlicht künftig an einem pulsierenden Ort liegen. »Das ist gut so«, sagen Marco Auernigg (Leiter des sozialpsychiatrischen Dienstes des Landkreises) und Sönke Müller (Freiwilligenzentrum). Denn die zentrale Lage ist eine gute Voraussetzung dafür, dass die Menschen, die man ansprechen möchte, auch kommen.
Grundidee für das deutschlandweit einzigartige Projekt war die Tatsache, dass psychisch instabilen Menschen an den Wochenenden keine Anlaufstellen zur Verfügung stehen, erinnert Auernigg. Einsamkeit oder psychische Krisen machen aber an den Wochenenden keine Pause. Im Gegenteil. Was die einen als Ruhepause vom Alltag herbeisehnen, bedeutet für die anderen eine Leere, die sie nicht zu füllen vermögen. Sie durchleben samstags und sonntags eine schlimme Zeit.
Café Nachtlicht in Gießen: Neue Ehrenamtliche willkommen
Auernigss Wunsch war es, das Vakuum zu füllen - und zwar mit Unterstützung von Ehrenamtlichen. Diese Idee traf bei Sönke Müller vom Freiwilligenzentrum sofort auf fruchtbaren Boden. Er weiß, wie bereichernd bürgerschaftliches Engagement für alle Beteiligten ist: »Auch die Freiwilligen profitieren von ihren Einsätzen«, sagt er. Diese Arbeit habe einen hohen Resilienzfaktor. An dem Gemeinschaftsprojekt beteiligt ist auch das Aktionsbündnis für seelische Gesundheit, das sich für eine Ent-Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen einsetzt. Unterstützung gibt es zudem von der Bäckerei Siebenkorn sowie vom Café Coffee-Bay. Zentraler Bestandteil des Projektes ist der Netzwerkgedanke. Gemeinsam verfolge man zum einen das Ziel, niedrigschwellige Krisenintervention anzubieten, zum anderen erhoffe man sich, präventiv gegen Einsamkeit wirken zu können, sagt Auernigg. 2019 wurden Ehrenamtliche gesucht - und zur großen Freude von Auernigg und Müller meldeten sich viel mehr Interessierte als sie erwartet hatten. Nach zweieinhalb Jahren Pandemie sind einige nun nicht mehr dabei, so dass neue Gesichter willkommen sind. Alle Ehrenamtlichen werden sorgfältig geschult und begleitet, so dass die Hemmschwelle, sich auf zunächst fremdem Terrain zu bewegen, niedrig ist. »Wir suchen Leute jeden Alters, die Freude am Kontakt und am Austausch mit anderen Menschen haben«, sagt Müller.

Genau darum geht es an den Abenden im Café Nachtlicht: Wer dorthin geht, wird Gemeinschaft erleben. Was die Gäste dann daraus machen, ist ihre Entscheidung - sie können miteinander reden oder spielen, und wer sich einfach zu anderen an den Tisch setzen und zuhören will, kann auch dies tun.
Café Nachtlicht in Gießen: Kein Alkohol, keine Drogen, Anstand
Die Spielregeln für die Abende sind schnell erklärt: Kein Alkohol, keine Drogen, einander mit Anstand begegnen. Damit, sagt Auernigg, habe man in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht. Letztlich finde jeder Gefallen daran, auf freundliche und zugewandte Menschen zu treffen.
Der Psychiatrie-Koordinator des Landkreises sieht in dem Projekt einen Weg, wie die Zivilgesellschaft in Zukunft mit Instabilität und Krisen umgehen könne. Auernigg: »Wir brauchen mehr denn je eine solidarische, soziale und hilfsbereite Gesellschaft«. Das Café Nachtlicht ist offen für alle - nicht nur für vermeintlich Schwache oder Kranke. Wem zu Hause die Decke auf den Kopf zu fallen droht oder wer Lust auf Gemeinschaft hat, ist dort willkommen. (Christine Steines)
Lieblingsbuch mitbringen
Neben »ganz normalen« Café-Abenden wird es auch Wochenenden mit einem Begleitprogramm geben: Mit Musik oder Vorträgen. Zur Wiedereröffnung am 7. Mai soll es Lesungen geben - keine abendfüllenden Monologe, sondern alle Interessierten sind eingeladen, Lieblings-Texte vorzutragen, die ihnen Mut, Kraft oder Zuversicht gespendet haben, schildert Julia Kistner vom Aktionsbündnis für seelische Gesundheit. Wer sich an der Lesung beteiligen möchte, kann sich per E-Mail wenden an: info@seelischegesundheit-giessen.net.