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Neue Erinnerungen mit »Juli«

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Von: Marc Schäfer

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Die Gießener Band Juli hat ein neues Album produziert. Die Gruppe spielt im neuen Jahr unter anderem in der Batschkapp in Frankfurt. © Red

Die Fans der Gießener Band Juli haben lange auf neue Songs und andere Nachrichten von den fünf Musikern warten müssen, doch nun geht es Schlag auf Schlag. Am Freitag kam nach »Fette wilde Jahre« mit »Der Sommer ist vorbei« schon der zweite Song des neuen Albums heraus. Am 8. Mai 2023 startet die Tour. Es ist die erste seit mehr als sieben Jahren.

Nicht nur der Sommer ist vorbei, sondern auch die Zeit, in der die Fans nichts von der Gießener Band Juli gehört haben. Das letzte Album erschien 2014, die letzte Tour lief 2015 durch Deutschland und Luxemburg. Das letzte Lebenszeichen, die Single »Fahrrad«, ging Anfang 2019 in der Corona-Pandemie unter. Jetzt ist die Band zurück. Der Song »Fette wilde Jahre« markierte Mitte September einen Neuanfang, gestern folgte in »Der Sommer ist vorbei« das zweite Lied in kurzer Zeit, ein Album wird kommen und auch wieder eine Tour. Klein und fein und energetisch soll sie nach Aussage der Band sein und ab Mai Clubs wie die Frankfurter Batschkapp oder das Gloria-Theater in Köln füllen.

»Für uns fühlt sich die Zeit gar nicht nach einer langen Pause an, weil wir auch in der Zwischenzeit immer musikalisch gearbeitet haben, zum Teil auch miteinander«, sagt Sängerin Eva Briegel im Gespräch mit der GAZ. »Außerdem wohnen wir fast alle in Berlin und laufen uns regelmäßig über den Weg, auch mal absichtlich.«

Briegel hat die freie Zeit genutzt, um Psychologie zu studieren. Bassist Andreas Herde ist mittlerweile Lehrer, die Gitarristen Jonas Pfetzing und Simon Triebel sowie Schlagzeuger Marcel Römer waren zwischenzeitlich immer wieder mit und für andere Künstler musikalisch erfolgreich. Als Alvaro Soler beispielsweise im Sommer auf dem Gießener Kultursommer von einem befreundeten Songschreiber sprach, der ihm vom Elefantenklo erzählt hatte, meinte er Triebel. Mit einem Bein, sagt Briegel, waren wir immer in Juli drin, mit dem anderen in anderen Projekten und in unseren Familien. Die, fügt Pfetzing im Gespräch hinzu, seien ein großer Faktor gewesen. »Seit der letzten Platte sind relativ viele Kinder entstanden. Da sind dann zwei Jahre mit einem Fingerschnipp vorbei«, sagt Pfetzing.

Auch wenn sich jetzt für die Band einiges wie ein Neustart anfühlt, richtig weg vom Fenster war Juli nie. Das belegen Zahlen des Streamingdienstes Spotify, wo die Band auf etwa eine Million monatliche Hörer kommt. Das ist eine beachtliche Zahl für eine deutschsprachige Gruppe, die ihre allergrößten Hits »Perfekte Welle« und »Geile Zeit« schon 2004 veröffentlicht hat. »Manchmal kommen junge Mädels zu mir und ich denke: 2004? Das wird vom Alter knapp. Sie kennen uns dann zum Beispiel aus Singstar«, erzählt Briegel. »Es ist ein irres Gefühl, dass wir mit zwei, drei Liedern im kollektiven Gedächtnis gespeichert sind und dass die Songs für Menschen einfach dazugehören, wenn sie in den letzten 30 Jahren nicht gerade unter einem Stein gelebt haben.«

Mehr als 1,3 Millionen verkaufte Tonträger und unter anderem eine dreifache Platin-Auszeichnung für das Debütalbum »Es ist Juli«, das mit knapp 700 000 verkauften Exemplaren nach wie vor das erfolgreichste der Band ist, haben die Karriere der Musiker geprägt. Dass Briegel immer das »Mädchen von Juli« und alle zusammen immer die »Band mit der Welle« bleiben werden, stört sie mittlerweile kaum noch. Es habe zwar eine Zeit gegeben, in der einige aus der Band vor »Juli weggelaufen« seien, mittlerweile habe man sich aber längst damit arrangiert. »Ich habe irgendwann registriert, dass die Vergangenheit zu meinem Leben gehört, dass es aber nichts gibt, was ich nicht mehr tun kann, weil ich das Mädchen von Juli bin. Im Gegenteil: Es ermöglicht mir, mein Leben so zu leben, mit der Musik Geld zu verdienen. Und es hat mir eine ganze Band zur Familie gemacht«, betont Briegel.

Dass es jetzt wieder richtig losgehe und man bald gemeinsam auf Tour sei, sei ein tolles Gefühl. »Das ist wie eine Klassenfahrt. Wir sitzen im Bus, der Manager kümmert sich um alles, auf das wir keine Lust haben. Das Essen steht da. Und wir haben keine Verpflichtungen, außer abends Musik zu machen.«

Schon die Arbeit an den neuen Songs habe so viele Erinnerungen geweckt. Beim Schreiben und Produzieren hat Juli auf alte Gewohnheiten gesetzt. »Wir treffen uns, schreiben Lieder, nehmen sie auf, fahren ins Studio und nehmen sie noch mal auf«, sagt Briegel. Dies sei heute ein unübliches Vorgehen. Weil es ganz andere technische Möglichkeiten gebe als früher, gingen viele Bands gar nicht mehr in große Tonstudios. »Wir sind bei unserer Arbeitsweise geblieben, deswegen fühlt es sich vertraut an, aber auch wieder neu, weil sich die Umstände so geändert haben«, erzählt die in Langgöns aufgewachsene Sängerin.

Sie meint damit unter anderem Streamingdienste. »Wir kommen ja aus einer Zeit, in der noch physische Tonträger verkauft worden sind, heute muss man ständig neue Dienste auf dem Zettel haben«, sagt sie. Auch der Stellenwert von Videos habe sich geändert. Gerade seien vor allem die Plattenfirmen heiß auf TikTok. »Ein Bandfoto? Okay, das brauchen wir. Aber ich werde wohl keinen Tanz bei TikTok aufführen«, betont Briegel. Zum Glück, pflichtet ihr Pfetzing bei, habe man über die Jahre auch gelernt, dass man viele Dinge auch einfach aussitzen könne.

Für die Arbeit am Album haben sich die Gießener den Luxus gegönnt, immer wieder auch Ideen zu verwerfen. Die Einschränkungen in der Corona-Pandemie hätten das Schreiben der Songs beschleunigt, weil es nichts mehr gab, was sie zuvor immer davon abgehalten habe, sagt Pfetzing. Deshalb hätten sie am Ende nicht bloß drei gute Ideen für fünf Songs gehabt, sondern zum ersten Mal in der langen Juli-Zeit mehr Songs, als man für ein Album brauche. »Davon haben wir früher immer geträumt«, sagt Pfetzing.

Mit »Fette wilde Jahre« hat die Band einen Song als erste Auskopplung ausgewählt, der die typische Juli-Atmosphäre verkörpert: ein bisschen Nostalgie, etwas Mut und Wir-Gefühl. Wie gemacht für einen beseelt-betrunkenen Abend im alten Haarlem. »Das Haarlem. Krass, was da im Kopf abgeht, wenn man ans Haarlem denkt«, sagt Pfetzing. Den Abriss haben die Musiker aus Gießen auch in Berlin zur Kenntnis genommen, erfreut hat er sie jedoch nicht. »Ich bin immer persönlich beleidigt, wenn sich in Gießen etwas verändert, ein Laden schließt oder ein Gebäude abgerissen wird. Ich möchte das nicht. Gießen sollte in Harz gegossen werden, bis ich wieder zurückkomme«, sagt Briegel.

Trotz etwas Nostalgie soll der Song »Fette wilde Jahre« aber auch Mut machen und zeigen, dass es noch nicht vorbei ist. »Ich kann richtig gut Abende mit Weißt-du-noch-Konversationen verbringen und bei alten Fotos in Erinnerungen schwelgen, aber ich werde immer ganz kribbelig, wenn es zu viel um früher geht. Ich versuche dann alle anzustoßen, neue Erinnerungen zu schaffen«, erzählt Briegel. Dazu will sie mit dem Song ermutigen. Das Domizil in Gießen zum Beispiel sei ein guter Ort gewesen, Erinnerungen zu schaffen. Ein Laden, aus dem man mit Geschichten für die nächsten 40 Jahre rausgehe. Genau das Gegenteil von gepflegt ein Bier trinken und über früher unterhalten. »Es ist traurig, dass der zugemacht hat«, sagt Briegel. »Ich finde, man muss sich davor hüten, zu früh zu sagen, aus dem Alter bin ich raus. Es stimmt nämlich nicht, dass alles, was wir früher gut fanden, heute für uns nicht mehr möglich ist, weil wir älter geworden sind und Kinder haben. Natürlich ist es komplizierter geworden, und wir sind auch früher müde, aber das sind doch keine Gründe.«

Neue Erinnerungen schaffen wollen Juli auch mit der Tour, die am 8. Mai in Dresden beginnt. »Wir haben kleinere Locations ausgesucht, weil es eben ohnehin schwer ist, große Konzerte zu planen, aber auch, weil wir richtig Lust drauf haben«, erzählt Pfetzing. Juli hofft auf »volle Clubs und textsichere Gäste, die tanzen« wollen. »LED-Wände, Laser und Gräben brauche ich nicht mehr, ich brauche energetische Abende«, betont Briegel.

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