Neue Chance für Geduldete

Für bislang nur geduldete Geflüchtete bedeutet ein neues Bundesgesetz einen möglichen Ausweg aus ihrer fragilen Aufenthaltssituation. Die Stadt Gießen will nun Betroffene über die neue Situation informieren. Groß ist aber die Sorge, dass diese Menschen aufgrund der steten Angst vor Abschiebungen ihr Vertrauen in den Staat verloren haben.
Für nur geduldete Geflüchtete bedeutet dieser Aufenthaltsstatus vor allem Unsicherheit. Die Angst, abgeschoben zu werden, ist in der Regel groß und beherrscht die Betroffenen zum Teil jahrelang. Um Menschen. Um gut integrierten Menschen mit diesem fragilen Aufenthaltsstatus eine Perspektive in Deutschland zu geben, hat die Ampelkoalition ein neues Chancen-Aufenthaltsrecht geschaffen. In einem Pressegespräch im Gießener Rathaus lässt der Leiter der Ausländerbehörde, Gerald Menche, in diesem Zusammenhang das Wort »Endlich« fallen.
Auch die zuständige Dezernentin Astrid Eibelshäuser betont, dass es ein humanitärer Auftrag sei, den Schwebezustand, in dem sich die rund 200 in Gießen betroffenen Geflüchteten befänden, zu beenden. »Anders als in den 60er Jahren wissen wir, dass für eine erfolgreiche Integration ein gefestigter Aufenthaltstitel eine große Rolle spielt.« Nur: Die Sorge ist groß, dass diese Menschen die Chance nicht ergreifen - weil sie wegen der steten Angst, abgeschoben zu werden, kein Vertrauen in staatliche Angebote haben.
Seit dem 31. Dezember ist das Gesetz in Kraft getreten. Wer das Chancen-Aufenthaltsrecht beantragen will, muss am Stichtag, dem 31. Oktober 2022, seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben. Der Geflüchtete muss ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland gelebt haben, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen und nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt worden sein. Außerdem darf der Antragsteller nicht wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht haben.
Info-Veranstaltung für Geflüchtete
Wie Menche erklärt, müssen die Betroffenen hinreichende mündliche Deutschkenntnisse auf A 2-Niveau und überwiegend eigenständig den Lebensunterhalt sichern können. Zudem müssten sie ihre Identität klären. Wer dies innerhalb von 18 Monaten schafft, erhält eine Beschäftigungserlaubnis, sofern er nicht bereits erwerbstätig ist. Wenn die Person auf staatliche Hilfe angewiesen ist, erhält sie Bürgergeld anstatt Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Zudem erhalten auch enge Familienangehörige eine Chancen-Aufenthaltserlaubnis, wenn sie noch keine fünf Jahre in Deutschland leben. Falls die Antragsteller die Voraussetzungen innerhalb der 18 Monate nicht erfüllen, fallen sie in die Duldung zurück.
Im Herbst, sagt Eibelshäuser, hätten die für das Thema zuständigen Stellen der Stadt über die Auswirkungen des neuen Gesetzes beraten. So wird es für die geduldeten Geflüchteten in der nächsten Woche eine Informationsveranstaltung geben, zu der sie persönlich und schriftlich eingeladen worden seien, sagt Julia Hettenhausen, Leiterin des Büros für Integration. Da sie mit einem erhöhten Informationsbedarf rechne, werde es zuerst eine Präsentation zum neuen Chancen-Aufenthaltsrecht geben - sortiert nach den jeweiligen Sprachkenntnissen der Teilnehmenden. Dabei kooperiert die Stadt mit der Migrationsberatung von Diakonie und Caritas. Auch die Gießener Ausländerbehörde werde vor Ort sein.
Das besondere an dem Gesetz, sagt Hettenhausen, sei die Tatsache, dass die Ausländerbehörde nicht als reine Prüfstelle fungiere, sondern als Helfer. »Wir nehmen die Menschen an die Hand und führen sie zum möglichen Ziel eines gesicherten Aufenthaltsstatus hin«, ergänzt Menche. In diesem Zusammenhang spricht Eibelshäuser von einem Paradigmenwechsel im Aufgabenbereich der Behörde.
Nur: Ist ein auf deutsch geschriebener Einladungsbrief einer Behörde nicht auch eine Hürde für manche Geflüchtete? Menche glaubt das nicht. Es werde eher nicht an den Sprachkenntnissen oder an der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts scheitern. »Eine große Hürde wird sein, dass diese Menschen fünf Jahre lang mit Abschiebung bedroht waren und sich nun gegenüber den Behörden öffnen müssen.« Auch deshalb unterstreicht Hettenhausen, wie wichtig es nun sei, Vertrauen aufzubauen. »Diese Gruppe«, sagt sie, »war bisher nie Ziel integrationspolitischer Maßnahmen.«
Einwanderung neu regeln
Für Eibelshäuser ist die neue Regelung nach dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz ein weiterer notwendiger Schritt zu Reform des Einwanderungsrechts. Dies sei bitter nötig, »da wir strukturell im Nachteil gegenüber anderen Staaten wie Kanada sind«; das Land hat bereits seit den 60er Jahren seine Grenzen für Menschen anderer Nationalität geöffnet, wenn sie die richtigen Qualifikationen mitbringen. Es sei wichtig, Menschen eine stabile Bleibeperspektive bieten zu können. Und zwar nicht nur im Bereich der Fachkräfte. Die Nachfrage nach Hilfskräften zum Beispiel in Handwerk und Gastronomie sei sehr groß. Aktuell läuft ein Gesetzgebungsverfahren, in dem genau dieser Gruppe das Arbeiten in Deutschland ermöglicht werden soll.