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Neue Brust mit »lebendigem« Gewebe

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Von: Christine Steines

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Eine aufwendige, aber erfolgversprechende OP: Die Rekonstruktion der Brust mit Eigengewebe. © Red

Bei 30 Prozent aller Brustkrebs-Patientinnen ist die Entfernung der Brust notwendig. Bei einer Rekonstruktion sind Implantate eine Option, aber auch der Aufbau mit Eigengewebe. Eine solche OP ist aufwendig, bietet aber viele Vorteile, sagt Dr. Torsten Schloßhauer. Der Plastische Chirurg am EV Agaplesion plädiert dafür, mehr Patientinnen als bisher eine solche Rekonstruktion zu ermöglichen.

Acht bis neun Stunden dauert die Operation. Ein Chirurgen-Team entnimmt Gewebe vom Bauch, ein anderes formt am Oberkörper eine neue Brust. Die Operateure entnehmen dabei nicht einfach Fett, sondern lebendiges, durchblutetes Gewebe inklusive Puls. Die so entstehende neue Brust passt sich an den Körper an, sie wird mit der Frau alt, dicker oder dünner. Kommt Gewebe vom Bauch nicht in Frage, entnimmt man es dem Gesäß oder dem Oberschenkel. Mit dem Lipofilling einer »Beauty-OP«, bei dem überflüssiges, ungeliebtes Körperfett aufbereitet und dann genutzt wird, um den Lippen oder dem Busen mehr Volumen zu verleihen, hat die Methode nichts zu tun.

Vielmehr ist das Verfahren namens DIEP-Flap eine international anerkannte Methode, um die Brust nach einer Krebserkrankung zu rekonstruieren. Sie hat viele Vorteile gegenüber dem weitaus üblicheren Einsatz von Silikon-Implantaten, sagt Torsten Schloßhauer, Chefarzt der Klinik für Plastische, Ästhetische, Rekonstruktive und Handchirurgie am Evangelischen Krankenhaus Agaplesion. Die Operation ist kein außergewöhnlich riskanter Eingriff - aber man braucht dafür mikrochirurgisch erfahrene plastische Chirurgen. Und weil es die in vielen Krankenhäusern und selbst in Brustkrebszentren nicht immer gibt, wissen viele Patientinnen nichts von dieser Möglichkeit.

Schloßhauer will das für die Region Mittelhessen ändern, derzeit weitet er die Kooperation mit benachbarten Brustkrebszentren aus. Der Mediziner, der zuvor in Lübeck und Frankfurt tätig war, ist seit zwei Jahren in Gießen. Seitdem haben sein Team und er eine Reihe solcher Operationen erfolgreich vorgenommen. »Wenn es nach einer Krebserkrankung eine Rekonstruktion geben soll, rate ich zu dieser Methode«, sagt er.

Leider kämen heute vielfach Patientinnen nach einem langen Leidensweg zu ihm. Man müsse sich vergegenwärtigen, dass die Krebsdiagnose mit anschließender Therapie eine massive psychische und physische Belastung darstelle. Wenn es dann nach Abschluss der onkologischen Behandlung zu Problemen mit Implantaten komme, sei das für die Frauen katastrophal. Die Rekonstruktion der Brust sei seit vielen Jahren ein integraler Bestandteil der Brustkrebsbehandlung, es gebe frühzeitig eine interdisziplinäre Planung gemeinsam mit der Patientin. Doch Implantate seien längst nicht für alle Frauen geeignet, beispielsweise kommen sie nach einer Bestrahlung aufgrund möglicher Wundheilungsstörungen nicht in Frage,

Der Vorteil von Implantaten sei, dass sie ein gutes ästhetisches Ergebnis lieferten und die OP-Zeit gering sei. »Die mittel- und langfristigen Risiken können jedoch erheblich sein, das wird oft unterschätzt«, sagt Schloßhauer. Was vielen Patientinnen nicht klar sei: Die Gelkissen halten nicht ein Leben lang. Sie müssten nach spätestens zehn Jahren entfernt oder ausgetauscht werden, manche auch früher. Dieser Aspekt komme bei der Aufklärung oft zu kurz, bedauert der Chirurg. Noch folgenschwerer sei, dass Implantate im Verdacht stünden, Lymphome zu verursachen.

Das sogenannte BIA-ALCL (Breast Implant-Associated Anaplastic Large Cell Lymphoma) ist ein Tumor des Lymphsystems. Man vermutet, dass dies eine Immunreaktion auf die Silikonbestandteile in der Hülle des Implantats sei. »Das ist natürlich für Frauen, die an Brustkrebs erkrankt waren, besonders fatal«, sagt Schloßhauer. Brustimplantate werden schon seit 1961 verwendet. Neben der Rekonstruktion in Folge von Brustkrebs sind geschlechtsangleichende Operationen bei transidenten Menschen sowie ästhetische Gründe bei dem Wunsch nach Brustvergrößerung die Gründe für deren Einsatz. »Aber es gibt kein Implantatregister, das Aufschluss über Probleme oder Begleiterscheinungen geben könnte«, klagt der Mediziner. Er wünscht sich eine intensivere Aufklärung über die Möglichkeiten und Risiken einer Brustrekonstruktion. Für jede Patientin müsse ein individueller Weg gefunden werden.

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