Nach 19 Jahren an der Sozialgerichts-Spitze ist Schluss

Gießen (ixi). 19 Jahre lang war er Direktor des Sozialgerichts Gießen und hat in dieser Zeit einiges erlebt. Die Hartz-Reform 2005, die Aufnahme von vielen Flüchtlingen ab 2015 und allerlei alltägliche Probleme erforderten von Bernd Grüner immer wieder eine ruhige Hand und kluge Entscheidungen. Nun geht der Direktor in den Ruhestand.
Pandemie hat Spuren hinterlassen
Das Sozialgericht steht selten im Blickfeld der Berichterstattung, wenn es um Justizfälle geht - im Gegensatz zu Verhandlungen am Amts- oder Landgericht. Das kann Grüner auch verstehen. »Gericht ist ja für viele Außenstehende eine trockene Angelegenheit. Das Sozialgericht steht nicht oft im Fokus.« Seit 2003 ist er der Direktor am Sozialgericht, und noch zu Beginn seiner Amtszeit gingen rund 2800 Klagen pro Jahr ein. Dann kam das Jahr 2005: »Mit Hartz IV kam der Aufschrei und eine Prozessfülle«, erzählt Grüner. Plötzlich hatte das Sozialgericht in der Hochzeit 2010 4700 Klageeingänge pro Jahr, alles Hartz-IV-Verfahren. »Gerade beim Thema Wohnung herrschte in Gießen viel Streit, denn die preiswerten Wohnungen gingen an Studierende«, erzählt Grüner. Inzwischen habe sich die Situation beruhigt.
Auch die Pandemie hat im Sozialgericht Spuren hinterlassen. »Wir hatten 2021 rund 3000 Verfahren. Während der Pandemie wurde weiter gezahlt, Kurzarbeitergeld zum Beispiel. Wir werden eine große Welle von Rückforderungen bekommen«, erläutert Grüner. Ein neuer Schwerpunkt ist jetzt die Abrechnung von Krankenhausleistungen. »Heute wird jede Operation einzeln abgerechnet. Der Streit zwischen Krankenhäusern und Krankenversicherungsträgern wird immer größer.«
Größer wird auch die Anzahl der Richter am Sozialgericht. Waren es beim Amtsantritt 2003 noch acht Richter, ist die Zahl auf 13 Richter gestiegen. »Wir brauchen mehr Räume als wir haben. Wir haben zudem 230 ehrenamtliche Richter. Zwei ehrenamtliche Richter, die auf fünf Jahre gewählt sind, unterstützen den Berufsrichter in einem Prozess.«
Bei Digitalisierung gut aufgestellt
Dennoch macht sich Grüner um die Gesamtsituation immer mehr Sorgen. »Die Komplexität der Vorschriften nimmt weiter zu. Ein kleiner Kiosk kann das kaum noch stemmen.« Auch das Beispiel Elterngeld passe dazu gut. Statt pauschal wird es einkommensabhängig gezahlt. »Vieles könnte für uns einfacher sein«, sagt der Direktor.
Beim Thema Digitalisierung ist das Sozialgericht hingegen gut vorbereitet. »Wir könnten schon morgen auf die elektronische Akte umspringen«, betont Grüner. Bis 2026 wird das auch erfolgen, so will es der Gesetzgeber. »Wir sind relativ weit, aber das muss im Ministerium gebündelt werden.«
Ob Kindergeld, der Ukraine-Krieg oder das Asylbewerberleistungsgesetz - die Anforderungen an den Direktor waren groß. Wie geht er nun mit seinem bevorstehenden Ruhestand um? Da zögert Grüner kurz. »Ich werde ein bisschen weitermachen. Ich mache noch zwei Schiedsstellen. Da freue ich mich drauf. Ich werde Fortbildungen besuchen. Und dann hoffe ich, dass ich noch ein bisschen Tennis und Basketball spielen kann.« Was er im öffentlichen Dienst problematisch findet: »Bei uns geht es nur von hundert auf null. Man muss zuerst gegen die Wand fahren, und dann irgendwie neben der Wand etwas für sich finden. Das ist eigentlich schade.«
Grüner zeigt sich guten Mutes, dass die Nachfolgeregelung in etwa zwei Monaten geklärt ist. Bei Beamten, betont Grüner, dauere das immer ein wenig länger.