Spatenstich für Bauprojekt: In Gießen wird Stadtgeschichte geschrieben

Manchmal wird mit dem Spaten Stadtgeschichte geschrieben. Gut 40 Jahre nach dem Kauf des Samen-Hahn-Geländes in Gießen hat die Neubebauung begonnen.
Gießen - Wenn jemand aus den USA nach Deutschland reist, um bei einem ersten Spatenstich für ein Bauvorhaben dabei zu sein, muss es sich um ein ganz besonderes Projekt handeln. Das ist die Neubebauung des Samen-Hahn-Areals auf der Ecke Bahnhofsstraße/Reichensand ohnehin, aber für Habibollah Shobeiri war die Zeremonie ein ganz spezieller Moment.
Seit 1981 hatte der Alteigentümer, der mittlerweile in den Vereinigten Staaten lebt, mit sechs Gießener Planungsdezernenten um eine Nutzung des Innenstadtareals gerungen und gestritten. Braungebrannt und gutgelaunt verfolgte der Senior, wie sein Sohn Karim, der es nur noch mit zwei Dezernenten zu tun hatte, am Dienstag den Startschuss für ein überaus ambitioniertes Projekt gab. »Heute ist ein wichtiger Tag. Wir sind sehr glücklich«, sagte Bauherr Karim Shobeiri zu den zahlreich erschienenen Gästen.
Stadtentwicklung in Gießen: vier neue Häuser bis 2025 auf Samen-Hahn-Areal
Bis 2025 soll die unendliche Geschichte um Samen-Hahn zu einem guten Ende geführt werden. Vier Häuser will K. Shobeiri im »Stadtgarten« in Gießen errichten, davon im rückwärtigen Bereich am Reichensand drei zu Wohnzwecken mit 73 Wohnungen und 4300 Quadratmeter Mietfläche. Vorne an der Bahnhofstraße soll das gründerzeitliche Geschäftshaus, das 2015 wegen Baufälligkeit abgerissen wurde, mit einem Neubau äußerlich nachempfunden werden.
Auf drei Geschossen stehen jeweils 330 Quadratmeter Fläche für gewerbliche Mieter zur Verfügung, erläuterte K. Shobeiri und warb sogleich um Interessenten. Das Vordergebäude mit der historisierten Fassade in Inverstechnik soll auch das Gebäude sein, mit dem der Hochbau beginnt, sagte Architekt Björn Trieschmann.

Spatenstich im Reichensand in Gießen: Entstehung einer Tiefgarage
Zunächst indes wird am Reichensand ein tiefes Loch gegraben, denn unter den Häusern entsteht eine Tiefgarage. Im Zuge dieser Arbeiten könnten - wie in der Schanzenstraße - Reste des mittelalterlichen Gießens auftauchen. Eine Aussicht, die Bauherr Shobeiri nach dem Weg, den er seit 2018 mit dem Vorhaben bereits zurückgelegt hat, nicht mehr schreckt. »Ich bin nicht der Typ, der auf der halben Strecke umkehrt«, sagte K. Shobeiri in seiner Ansprache.
Der drohende Ausfall der KfW-Förderung und die galoppierenden Baupreise hatten dem Investor zuletzt zu schaffen gemacht, aber Shobeiri geht weiterhin von einer »zeitnahen« Umsetzung des Großprojekts aus und warb für den Standort im Herzen der Stadt - mit kurzen Wegen und bester Nahverkehrsanbindung. Es entstünden zeitgemäße urbane Wohn- und Arbeitsstätten. »Das Auto wird hier nahezu überflüssig«.
»Das entspricht der modernen Stadt« - kein rein historischer Nachbau in Gießen
Von einem »symbolträchtigen« Anlass und einem »bedeutsamen Tag für die Stadt« sprach Planungsdezernentin Gerda Weigel-Greilich. Die Grünen-Stadträtin blickte auf »verschiedenste Perspektiven« in den letzten Jahrzehnten zurück, die man aber nicht vertiefen müsse. Letztlich müsse man sogar froh sein, dass sich das ein oder andere Bebauungskonzept zerschlagen habe. Der Mix aus Wohnen und gewerblichen Nutzungen entspreche der Entwicklung, die die Innenstädte derzeit nehmen. »Das entspricht der modernen Stadt«, sagte Weigel-Greilich. Sie sei auch froh, dass sich Forderungen nach einer rein historisierenden Bebauung nicht durchgesetzt haben: »Es war richtig, nicht einfach das Alte nachzubauen.«
Freuen dürfen sich auch die Unternehmen, die die Bauaufträge erhalten haben. Der größte für den gesamten Rohbau ging an die Atko GmbH aus Frankfurt, die weiteren Gewerke ebenfalls an regional tätige Firmen, die Finanzierung hat die Sparkasse Wetzlar übernommen. Architektur-Partner ist das studioaw aus Gießen, rechtlich lässt sich der Bauherr von Sascha Petri beraten. Ausdrücklich dankte Shobeiri dem früheren Bürgermeister Peter Neidel, der das Projekt als Planungsdezernent von 2018 bis Herbst 2021 begleitet hatte. (Burkhard Möller)