»Mit Fehlern transparent umgehen«

Polizeiarbeit wird immer komplexer, die Suche nach Spuren digitaler. Wie die Kripo sich diesen Herausforderungen stellt, erklärt Mario Mies, Leiter der Kriminaldirektion im Polizeipräsidium Mittelhessen im letzten Teil unserer Serie »K 35390«.
Die Arbeit der Polizei steht heute deutlich mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Was bedeutet dies für die alltägliche Arbeit eines Kripo-Beamten?
Mario Mies: Immer dann, wenn die Polizei erkennbar in der Öffentlichkeit handelt, wird genau hingeschaut und immer häufiger mit dem Smartphone gefilmt. Das betrifft zuerst vor allem die Kollegen der Schutzpolizei, die mit ihrer Uniform auffallen und bei Konflikten einschreiten. Aber auch Kriminalpolizisten müssen bei der Tatortarbeit wie jüngst bei der Automatensprengung in Buseck oder bei einem Tötungsdelikt immer darauf gefasst sein, dass ihre Arbeit beobachtet und gefilmt wird. Verhindern müssen wir aber vor allem, dass zum Schutz der Opfer die beteiligten Personen, ein Angehöriger oder das Geschehen von Schaulustigen aufgenommen wird.
Auf Video veröffentlicht wurden rassistische Beleidigungen durch Polizisten in Berlin, aber auch in Gießen.
Wir halten unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu an, sich objektiv und neutral zu verhalten. Das machen sie auch. Vorfälle bei der Polizei, bei denen sich ein Kollege oder eine Kollegin völlig danebenbenommen oder rassistisch geäußert hat, werden hart verfolgt. Da gibt es absolut keinen Spielraum.
Dennoch bleibt die Kritik haften. Hat dies Auswirkungen auf Ihre Arbeit?
Richtig ist, dass die Polizei über viele Jahrzehnte ein riesiges Vertrauen in der Bevölkerung hatte. Umso tragischer ist es, dass Einzelne durch ihr Fehlverhalten so viel kaputt machen. 90 Prozent der Straftaten werden vom Bürger angezeigt. Ein Nachteil könnte sein, dass Menschen denken, dass sie sich wegen dieser Vorfälle nicht mehr bei uns melden wollen. Da müssen wir gegensteuern. Wir sind dabei, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg mit allen Bemühungen rund um die Fehler- und Führungskultur. Wir müssen verhindern, dass sich ein solches Verhalten wiederholt und werden klarmachen, dass wir transparent mit solchen Fehlern umgehen.
Gehört auch dazu, dass sich die Polizei für Menschen aus Einwandererfamilien öffnet?
Das tut sie bereits. Ich habe einen Lehrauftrag an unserer Hochschule für öffentliches Management. Dort sitzen in den Studiengruppen Menschen türkischer, italienischer, russischer oder arabischer Abstammung. Darunter sind auch viele Muttersprachler, und das bereichert uns sehr. Umso unverständlicher und unerträglicher sind rassistische Äußerungen aus den eigenen Reihen, weil es auch die eigenen Kollegen betrifft.
Die Polizeiarbeit steht vor neuen Herausforderungen. Alleine bei den Delikten, die sie beschäftigen, verändert sich viel. Den Bankraub zum Beispiel gibt es immer seltener, dafür verlagern sich viele Straftaten ins Internet.
Der Bankräuber, den wir heute festnehmen, müsste eigentlich ins Museum (lacht). Im Ernst: Wir stellen eine deutliche Verlagerung von Straftaten aus der analogen in die digitale Welt fest. Es gibt immer noch Straftaten wie versuchte Tötungsdelikte oder Körperverletzungen. Aber gerade im Bereich der Eigentumsdelikte bemerken wir in den vergangenen zehn bis 15 Jahren eine deutliche Verschiebung von einem klassischen Diebstahl hin zu einer Vermögensstraftat im Internet. Bei der Gesamtkriminalität in Mittelhessen waren über die Hälfte der Straftaten Diebstahlsdelikte. Heute sind wir bei rund 25 Prozent. Im gleichen Umfang hat sich der Bereich Vermögens- und Fälschungsdelikte nach oben entwickelt.
Das muss doch Auswirkungen auf die Organisation der Polizeiarbeit haben.
Ja, das hat Auswirkungen, wir müssen zum Beispiel Personal verlagern und unsere Ermittlungsmethoden verändern. Aber dass man sich auf solche Entwicklungen einstellt, macht die Polizeiarbeit so spannend.
Können Sie ein Beispiel nennen, wie sich Ermittlungsmethoden verändert haben?
Wenn wir früher analoge Spuren wie Fuß- oder Fingerspuren an einem Diebstahltatort gesucht haben, suchen wir heute digitale Spuren, die der Täter hinterlassen hat, zum Beispiel eine IP-Adresse, mit der wir den Anschlussinhaber ermitteln können. Die analoge Spurensuche bleibt weiterhin ein wichtiges Mittel, aber der Schwerpunkt der Arbeit hat sich verlagert.
Das bedeutet sicherlich einen hohen Grad der Spezialisierung für die Beamten.
Richtig, gerade wenn es um die Einsatzmittel geht. Diesen hohen Grad benötigen wir auch. Denn wenn wir mit unserer Arbeit beginnen, müssen wir immer den Beweiswert vor Gericht im Blick haben. Und wenn wir am Anfang unsauber arbeiten, dann kann es durchaus sein, dass eine Spur, die wir finden und sichern, in der Gerichtsverhandlung nicht verwertbar ist, weil sie vielleicht verunreinigt ist. Wir müssen also alles, was wir haben, einsetzen, und dazu gehört auch Spezialtechnik. Das geht nur über eine Professionalisierung. Dieser Spagat zwischen der Digitalisierung und der analogen, klassischen Polizeiarbeit muss uns gelingen. Für herausragende Fälle holen wir uns aber natürlich auch Unterstützung vom Landes- oder Bundeskriminalamt.
Sie haben gerade die Zusammenarbeit mit anderen Polizeibehörden genannt. Wie wichtig ist zudem der bundesweite und internationale Austausch mit anderen Polizeipräsidien und -dienststellen?
In Hessen befinden wir in uns in einem regelmäßigen Austausch über verschiedene Besprechungsrunden. Auch auf Bundesebene gibt es regelmäßige Besprechungen. Früher war es so, dass alle internationalen Verbindungen übers LKA und das BKA gelaufen sind. Das hat sich heute geändert. Europa ist auch hier in der Fläche angekommen. Wir vom Polizeipräsidium Mittelhessen haben Kontakte zu Europol und Kollegen, die dort hospitiert haben. Sie haben von dort nicht nur das Know-how, sondern schnelle Abfragemöglichkeiten mitgebracht. Ein weiterer Aspekt sind die gemeinsamen Ermittlungsgruppen. Über Europol wird mit mehreren Mitgliedsstaaten ein Vertrag geschlossen und eine Ermittlungsgruppe eingerichtet, in der die Polizisten zusammenarbeiten. Das hatten wir zum Beispiel mit Litauen. Das erleichtert die Zusammenarbeit ungemein, weil die Erkenntnisse ohne umständliche Rechtshilfe ausgetauscht werden können. Aber ich glaube, da geht noch mehr.
Ein wichtiger Schritt wäre auch ein direkter Zugriff auf internationale Datenbanken.
So weit sind wir noch nicht, und das wird auch noch einen Augenblick dauern. Wir müssen erst mal daran arbeiten, dass wir uns in dieser Frage in Deutschland aufstellen. International bleibt es erstmal dabei, dass wir anfragen müssen, wenn wir Informationen brauchen.
Für die komplexer gewordene Ermittlungsarbeit wird Personal benötigt. Doch man hört von Ermittlern aus unterschiedlichen Bereichen immer wieder, dass davon mehr gebraucht wird.
Bei der Nachwuchsgewinnung sind wir in Gießen richtig gut aufgestellt, sogar führend in Hessen. Ich kann es nachvollziehen, wenn Kommissariatsleiter sagen: ›Wir brauchen mehr, dann könnten wir mehr…‹. Aber Personal ist eine endliche Ressource, und die Aufgabe eines Vorgesetzten ist es, das vorhandene Personal da einzusetzen, wo es dringend benötigt wird. Es ist aber bekannt, dass die Landesregierung in den vergangenen Jahre mächtig zugelegt hat bei den geschaffenen Stellen, und da ist auch einiges bei der Kripo angekommen.
Ein Beispiel für die komplexer gewordene Ermittlungsarbeit ist das Zentralkommissariat 50, das sich um Fälle von Cyberkriminalität kümmert.
Gerade die Auswertung von Datenträgern nimmt unheimlich viel Personal und Zeit in Anspruch. Täter haben heute Datenträger bei sich, und die können beweisrelevant sein. Die können wir nicht einfach liegenlassen. Das ist ein großes Problem, nicht nur für das ZK 50, sondern auch für die Sachbearbeiter der Kommissariate, die die Chats und Bilder auswerten.
Sind technische Hilfsmittel eine Lösung?
Ja, es gibt Ideen, wie die Ermittler entlastet werden könne. Das Thema Künstliche Intelligenz spielt dabei eine Rolle, weil sie uns vielleicht viel Arbeit abnehmen kann.
Umso wichtiger ist es dann, dass sich die Polizei für Externe öffnet.
Ohne externe Expertise funktioniert das kaum noch, vor allem im Bereich Digitalforensik. Da brauchen wir Fachinformatiker und Systemadministratoren. Das Problem ist, dass diese Fachkräfte hochbegehrt auf dem Arbeitsmarkt sind. Deshalb müssen wir ihnen etwas bieten, damit sie zu uns kommen und dann auch bei uns bleiben.
