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Mit der Pariser Metro fing es an

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Von: Christoph Hoffmann

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Jörn Ettenhofer, Constanze Blattmann und Jens Helwin (v. l.) sind Teil von Spie. Das Unternehmen hat unter anderem die Volksbank mit Energie versorgt. © Oliver Schepp

Spie ist ein börsennotiertes Unternehmen, das europaweit und darüber hinaus technische Dienstleistungen für Gebäude, Anlagen und Infrastrukturen erbringt. Am Gießener Standort werden unter anderem die Mitarbeiter für die großen Aufgaben ausgebildet.

Die Alten Brauereihöfe im Leihgesterer Weg sind ein geschichtsträchtiges Areal. Einst braute die Gießener Aktienbrauerei hier Pils, im Zweiten Weltkrieg suchten die Gießener in den Bunkern Schutz vor den Bomben, später produzierte Poppe hier Kautschuk. Auch einer der heutigen Hauptmieter, das Unternehmen Spie, kann sich mit einer langjährigen Geschichte rühmen. Von der Gründung vor 122 Jahren bis heute hat sich Spie zu einem internationalen Player im Bereich der technischen Dienstleistungen entwickelt, der vergangenes Jahr fast sieben Milliarden Euro umgesetzt hat und 48 000 Menschen auf der ganzen Welt beschäftigt. »Wir sind der unabhängige führende europäische Multi-Technik-Dienstleister«, sagt Kommunikationsleiterin Constanze Blattmann und fügt an: »Multi ist dabei Programm.«

Unternehmen werden meist gegründet, um ihre Gründer, die Mitarbeiter und die dazugehörigen Familien zu ernähren. Bei Spie kam noch ein weiteres, weitaus größeres Ziel hinzu. »Spie ist 1900 im Zuge der Weltausstellung gegründet worden, um die Pariser Metro zu elektrifizieren«, erzählt Blattmann. Diese Geschichte trägt Spie noch heute im Namen, er steht für »Société Parisienne pour l’Industrie Electrique«, also Pariser Gesellschaft für die Elektroindustrie.

Allein 400 Millionen Umsatz in Gießen

In Frankreich befindet sich noch immer der Hauptsitz, inzwischen ist das Unternehmen aber auch an etlichen anderen Standorten zu finden. Wie zum Beispiel Gießen. Vor fünf Jahren fing hier alles an, als Spie die Lück Gruppe aus Langsdorf übernahm. »Damals wurde unser Geschäftsbereich Building Technology & Automation, kurz BTA, ins Leben gerufen«, sagt der Leiter Jörn Ettenhofer. Seither habe sich die anfangs auf Mechanik und Elektrotechnik fokussierte Sparte extrem weiterentwickelt, in diesem Jahr werde man wohl die Umsatzmarke von 400 Millionen Euro knacken. »Wir betreuen von Gießen aus Spie-Gesellschaften in ganz Deutschland, zum Beispiel in Vertrieb, Marketing und Finanzbuchhaltung«, sagt Ettenhofer. Inzwischen umfasse der Geschäftsbereich unter anderem Tunnel- und Verkehrstechnik, Elektro- und Sicherheitstechnik, Automation und erneuerbare Energien. Letzteres ist laut Blattmann ein wichtiges Anliegen des Unternehmens. Nicht nur Kunden würden in diesem Thema begleitet, auch Spie selbst habe sich zum Ziel gesetzt, den CO2-Fußabdruck bis 2025 um 25 Prozent zu senken.

Neben dem Geschäftsbereich BTA, dem insgesamt 2200 Mitarbeiter angehören, 300 davon allein im Raum Gießen, beherbergen die Brauereihöfe auch die Spie Akademie. Nicht nur für die deutschlandweit 1000 Auszubildenden ist die 600 Quadratmeter große Einrichtung eine wichtige Anlaufstelle, wie Leiter Stefan Deibel betont. »Unsere Akademie richtet sich im Grunde an alle 14 000 Mitarbeitenden in Deutschland, von Azubis bis Fach- und Führungskräfte.« In den insgesamt sieben Räumen werde sowohl Aus- als auch Weiterbildung in verschiedenen Bereichen angeboten, zum Beispiel IT-Trainings und Führungskräfte-Seminare.

Elektroarbeiten für Schiffenberg-Wacht

Die in der Akademie erlernten Fertigkeiten kommen dann europaweit zum Einsatz – teilweise aber auch direkt um die Ecke. So hat Spie die Elektroinstallationen der Schiffenberger Wacht übernommen. Die Volksbank Mittelhessen hat dort ein neues Ärzte- und Bürohaus mit integrierter Rettungswache errichten lassen. »Das zu realisieren, war schon eine Challenge«, sagt Jens Helwin, der Geschäftsführer von Spie Lück. Zu den Arbeiten hätten auch der Aufbau der Netzinfrastruktur sowie die Installation der Sicherheitsbeleuchtung gehört. Eine besondere Herausforderung seien die Bedürfnisse der Johanniter Unfallhilfe gewesen, betont Helwin. »Wir haben unter anderem dafür gesorgt, dass bei einer Alarmierung die Ampeln auf den umliegenden Straßen automatisch auf Rot springen, damit die Einsatzkräfte freie Fahrt haben.« Für die Erweiterung der bestehenden Produktionsfläche von Bieber+Marburg ist Spie ebenfalls verantwortlich, das gleiche gilt für Neubauten des Unternehmens Gießener Dämmstoffe in Lützellinden.

Gießen, Frankreich, die ganze Welt: Spie ist ein internationaler Konzern mit beeindruckenden Kennzahlen, der in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen ist. Das bedeutet aber nicht, dass die Krisen dieser Welt spurlos an dem Unternehmen vorbeiziehen würden. »Wir merken, dass wir weniger Stellen mit hoher Geschwindigkeit besetzen können als früher«, sagt Deibel mit Blick auf dem Fachkräftemangel und betont: »Wir haben mehr Möglichkeiten, Menschen eine Ausbildung zu ermöglichen, als wir es im Moment auf dem Markt vorfinden.« Regional sei dies jedoch sehr unterschiedlich, fügt Ettenhofer an. An manchen Standorten würden erst kurz vor Ausbildungsbeginn Bewerbungen eintrudeln. »In Gießen haben wir diese Probleme aber nicht.«

Auch die globalen Engpässe in den Lieferketten spürt Spie. »Die Probleme sind da, das braucht man nicht wegzudiskutieren«, sagt Helwin. Durch die breite Aufstellung des Konzerns könnten diese Engpässe aber aufgefangen werden. Zum Beispiel durch gemeinsame Großbestellungen und die Nutzung von Lagerkapazitäten anderer Spie-Standorte. Mitunter komme es auch vor, dass bei einem fehlenden Element provisorische Lösungen verbaut würden, die dann nach der verspäteten Lieferung ersetzt würden. »Das stellt uns nicht vor allzu große Schwierigkeiten«, sagt Helwin.

Kein Wunder: Wer vor über 120 Jahren die Pariser Metro ans Laufen gebracht hat, stolpert vermutlich nicht über ein fehlendes Elektronik-Bauteil.

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