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Medical Valley in Mittelhessen

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Von: Kays Al-Khanak

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Marcel Geis (l.) und Niklas Köhler stellen ihr Forschungsprojekt zur Langzeitüberwachung von Atemwegserkrankungen bei Kleinkindern vor. Der passende Name: »Quietan Nox« - ruhige Nächte. © Oliver Schepp

Die Corona-Pandemie hat für einen Schub in der digitalen Medizin gesorgt. Um Forschungsergebnisse der Hochschulen in diesem Bereich auf den Markt zu bringen, will das hessische Digitalministerium mit dem an der THM angesiedelten Kompetenzzentrum für Telemedizin und dem Forschungscampus Mittelhessen eng kooperieren.

Manchmal können Kinder ganz schön anstrengend sein: Ich will dies, ich will das, Mama, holst du mir dies, Papa machts du mir das… Aber solange die lieben Kleinen gesund sind, ist dieses elterliche Lamento Jammern auf hohem Niveau. Wie es ist, wenn das Kind zum Beispiel häufig unter Atemnot leidet, weiß Katrin Weiland. »Das geht an die Nieren«, sagt die Mutter eines betroffenen Kindes. Selten sind dann die Abende, an denen die Eltern ohne schlechtes Gewissen auch mal auf dem Sofa einen Film schauen, anstatt am Bett des Kindes sitzend die Hand auf dessen Brust zu legen. Helfen könnte das audio-visuelle Langzeitmonitoring »Quietan Nox« - zu deutsch: ruhige Nächte. Mithilfe einer kontaktlosen Sensorik kann der Gesundheitszustand des Kindes über Atem- und Körperbewegungen, Körpertemperatur und Atemgeräusche erkannt, bewertet und dokumentiert werden - unter anderem direkt auf dem Smartphone der Eltern.

Hohes Potenzial

in der Region

Um Forschungsprojekte wie »Quietan Nox« zu unterstützen und dabei zu helfen, sie auf den Markt zu bringen, hat das hessische Ministerium für Digitale Strategie und Entwicklung mit dem an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) angesiedelten Kompetenzzentrum für Telemedizin und E-Health Hessen sowie mit dem Forschungscampus Mittelhessen (THM sowie die Unis Gießen und Marburg) eine Absichtserklärung unterzeichnet. Aus diesem Grund hat die Digitalministerin Kristina Sinemus auf ihrer Sommerreise am Dienstag Halt in Gießen gemacht. Beim Pressetermin unterstreicht THM-Präsident Matthias Willems das Potenzial Mittelhessens für den Bereich E-Health und Künstliche Intelligenz in der Medizin: Es gebe mit den Universitäten Gießen und Marburg zwei Hochschulen mit Medizin-Fachbereichen und mit der THM einen Standort für Medizintechnik. »Dieses riesige Potenzial stärken wir weiter«, betont Willems und spricht davon, ein »Medical Valley« in Mittelhessen zu schaffen.

Sinemus sagt, es gehe bei der Zusammenarbeit darum, »Leuchtturmprojekte zu schaffen« und diese dann in auch »in die Fläche« zu bringen. Bürger erlebten den Nutzen und Mehrwert von Künstlicher Intelligenz, »da sie bei der Diagnostik und Behandlung profitieren können«, sagt sie. Gleichzeitig entlaste die KI das medizinische Personal und ermögliche neue Behandlungsmethoden. Der Einsatz KI-basierter Anwendungen stehe noch am Anfang der Entwicklung, sei aber »ein umfassendes und zukunftsfähiges Arbeitsfeld im Gesundheitswesen«. Dass der Bedarf daran schon heute hoch sei, habe die Corona-Pandemie gezeigt, ergänzt Keywan Sohrabi, Professor für Medizinische Informatik an der THM.

Beispiele für den KI-Einsatz im Gesundheitswesen sind Apps zur Früherkennung von Krankheiten oder personalisierte Krebstherapien. Am Forschungscampus Mittelhessen wird unter anderem am Einsatz von KI bei der Versorgung von Parkinsonerkrankten sowie am Projekt »Quietan Nox« geforscht.

Gerade im Kindesalter gehören Atemwegserkrankungen zu den häufigsten Gesundheitsproblemen - und sorgen für einen hohen Leidensdruck bei Kindern und Angehörigen. Das Problem: Um die Atembeeinträchtigungen von Kindern zu beurteilen, stehen erst ab dem Alter von fünf Jahren medizinitechnische Diagnoseverfahren zu Verfügung; Sie sind zudem immer nur Momentaufnahmen während einer ärztlichen Untersuchung und keinesfalls repräsentativ für die Situation zu Hause. Nur: Gerade nachts zeigt sich das Ausmaß solcher Atemwegserkrankungen. Genau hier setzt das Forschungsprojekt an, erklären Niklas Köhler und Marcel Geis von der THM.

Ein Hauch

von Star Trek

Mithilfe der audio-visuellen Langzeitüberwachung könnten für Eltern und Ärzte Trendverläufe der Erkrankung dokumentiert und sichtbar gemacht werden. Eine App ergänzt das System, indem über elektronische Fragebögen für die Eltern diagnostische Daten erhoben werden können; zudem werden diese beim Auftreten eines kritischen Atemereignisses sofort informiert. Eltern, betonen Köhler und Geis, könnten durch das System in ihrer Verantwortung unterstützt und entlastet werden. Ärzte erhielten ein objektives Langzeitmonitoring der Krankheitsaktivität. Dies könne die Diagnostik deutlich verbessern und die Therapieüberwachung unterstützen.

Klingt ein wenig nach Science-Fiction, und Projektleiter Sohrabi erwähnt im Zusammenhang mit diesem Forschungsprojekt auch den medizinischen Tricorder aus Star Trek, mit dem die Ärzte der Zukunft Krankheiten diagnostizieren und Informationen über einen Patienten sammeln. Nur: Die Original-Serie spielt ab dem Jahr 2265. Diese Zukunft könnte schon jetzt geschehen. Sie braucht aber auch einen Anschub.

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