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»Made in Mathematikum«

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Von: Marc Schäfer

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»Bei der Herstellung von Exponaten ist im Mathematikum stets zu beachten, wie filigran ein Ausstellungsstück sein darf und wie robust es sein muss«, sagt Schreiner Michael Stoeckel. Bei 150 000 Besuchern im Jahr sei das Mitmachmuseum auch eine »Materialprüfanstalt«. © Oliver Schepp

Albrecht Beutelspacher bezeichnet die Schreiner in der Werkstatt des Mathematikums als »Glücksfälle«, die dem Mitmachmuseum international einen guten Ruf erarbeitet haben. Ihre Exponate »Made in Mathematikum« werden auch exportiert und stehen in Science Centern auf der ganzen Welt.

Hinter der großen Tür mit den kleinen Fenstern duftet es nach Holz. In der Werkstatt stehen Kreissäge, Hobelbank, Tischfräse und Kantenschleifmaschine sowie unzählige Schraubzwingen bereit. Bloß die Babylonische Uhr an der Wand und die geometrischen Figuren, die von der Decke hängen, deuten darauf hin, dass es sich hier um eine ganz besondere Schreinerei handelt. »Die Figuren sind Prototypen für eine Sonderausstellung, die wir mal vorbereitet haben«, sagt Michael Stoe-ckel. Der gelernte Schreiner leitet die Werkstatt des Mathematikums gemeinsam mit seinem Kollegen Thorsten Theissinger. Stoeckel ist von Anfang an dabei. Der Busecker hat schon vor der Eröffnung des mathematischen Mitmachmuseums - damals noch als selbstständiger Schreiner - Ausstellungsstücke für Museumsdirektor Prof. Albrecht Beutelspacher gefertigt. Als das Museum im Jahr 2002 an den Start gehen sollte, hat Stoeckel auf Bitten Beutelspachers die Werkstatt im Hinterhof eingerichtet. Er habe damals zwar schon geahnt, dass er sich seinen eigenen Arbeitsplatz einrichte, doch dass im Mathematikum mal drei angestellte Schreiner eigene Exponate entwickeln und anfertigen würden, sei damals undenkbar gewesen.

Exponate für China und die Ukraine

Etwa 2500 Exponate sind in den vergangenen 20 Jahren in dieser Werkstatt entstanden. Jedes der etwa 220 im Museum ausgestellten Stücke ist eine Eigenproduktion. »Schon im Vorfeld gab es die Entscheidung, die Exponate selbst herzustellen«, sagt Museumsdirektor Beutelspacher. »Die Werkstattmitarbeiter sind hervorragend qualifiziert und seit vielen Jahren dabei. Daher hat sich ein sehr gutes, kreatives Verhältnis entwickelt. Sie kennen jedes Exponat im Detail, aber auch meine grundsätzlichen Vorstellungen und Wünsche. Umgekehrt wissen die Mitarbeiterinnen, die mit mir die Sonderausstellungen entwickeln, was die Werkstattmitarbeiter können. Nicht selten sind wir überrascht, dass sie noch viel mehr können«, lobt Beutelspacher, der die drei Werkstatt-Mitarbeiter als »großen Glücksfall« für das Museum bezeichnet. »Sie haben entscheidend zur Qualität und dem Erscheinungsbild des Mathematikums beigetragen«, betont der Chef.

Es funktioniert fast immer alles

Es sind aber längst nicht nur die Exponate der Dauerausstellung und die Stücke für Sonderschauen, die in der Werkstatt gefertigt werden. Längst bietet das Mathematikum auch Exponate zum Verkauf an. Sie stehen in Science Centern auf der ganzen Welt - in Belgien, der Schweiz, Österreich, Italien, England, der Türkei und den USA. »Gerade erst haben wir 100 Exponate nach China verkauft«, erzählt Stoeckel. Anfang 2022 - noch vor dem Ausbruch des Kriegs - seien 39 in die Ukraine gegangen. »Ich hoffe, sie überstehen den Krieg in einem Keller«, sagt Stoeckel. Dass die didaktische und technische Qualität der Exponate regelmäßig internationale Delegationen beeindruckt, ist für Beutelspacher eine Freude. Es passiere immer wieder, dass der Besuch in Gießen der Impuls für einen Auftrag für Exponate »Made in Mathematikum« sei.

Ein weiterer Faktor der Werkstatt im eigenen Haus ist die Tatsache, dass im Mathematikum »fast immer alles funktioniert«, sagt Beutelspacher. Dies sei für ein Science Center dieser Größe »einmalig«. Oliver Römer, der dritte Schreiner im Bunde, mache aus diesem Grund jeden Morgen einen Rundgang und überprüfe alle Exponate. »Für die Schlüsselexponate haben wir Ersatz, alle anderen können wir, wenn nötig, sehr schnell reparieren«, erzählt Stoeckel.

Der 58-Jährige ist stolz darauf, mit seiner Arbeit, zu der auch Entwicklung und Kalkulation gehören, zum guten Ruf des Mathematikums beigetragen zu haben. Er schätzt die enge Abstimmung mit Beutelspacher, der jedes Exponat abnimmt und täglich in der Werkstatt vorbeischaut, und mit den anderen Mitarbeitern sehr. »Ich habe hier meinen Traumberuf gefunden«, sagt Stoeckel. Die handwerkliche Tätigkeit in Kombination mit der mathematischen Tüftelei und dem didaktischen Anspruch sei zwar sehr komplex, aber immer reizvoll und erfüllend. Wer kann schon von sich sagen, dass er mit seiner Arbeit, zum Beispiel dem Galtonbrett, für unzählige Menschen aus der ganzen Welt die Binomialverteilung verständlich gemacht hat?

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