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Lieblingspartien im Blick

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Von: Manfred Merz

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Operette? »Nein, danke.« Heldenbariton Grga Peroš. © Red

Volltönend und tragend, aber bitte mit Schmelz. Solche Stimmen sind rar. Nun ist wieder eine da: Heldenbariton Grga Peroš hat sich am Stadttheater zu einem Meistersänger entwickelt. Nachzuhören heute und am Montag in der Oper »Tosca«.

Er ist der gesellige Kumpel-Typ. Eine treue Seele. Wenn es nach der Vorstellung abends gemeinsam zum Essen geht, gibt er den Motivator für den Rhythmus, bei dem jeder mit muss. Auf der Bühne das gleiche Bild. Alle sollen strahlen. Teamarbeit nennt er das. Auch wenn Grga Peroš dann doch im Rampenlicht ganz vorn steht mit seinem Heldenbariton. Zurzeit im Stadttheater zu bewundern als Fiesling Scarpia in Puccinis »Tosca«.

»Dramaturgisch zählt sie zu den besten Opern überhaupt«, schwärmt der 40-Jährige. »Und der Verismo ist hier perfekt.« Die italienische Stilrichtung aus der Zeit der Romantik um 1900 verbindet eine wirklichkeitsnahe Handlung mit glutvollem Gesang - die Leidenschaft des Sängers. Folglich ist der Scarpia »ein zentraler Punkt in meiner Karriere«. Peroš lobt die Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Regisseur Martin Andersson. Der Schweizer zeigt die »Tosca« als kinoverwandten Streifen aus Sex and Crime.

Am Montag zum letzten Mal

Vor der Brandmauer im Großen Haus, hinten auf der Bühne statt im Graben, sitzt das auf 70 Musiker aufgestockte Philharmonische Orchester und liefert eine lupenreine Interpretation der Partitur. Wer die »Tosca« noch nicht gesehen hat oder sie ein weiteres Mal genießen möchte: Die letzten beiden Aufführungen im Stadttheater laufen am heutigen Samstag sowie am Pfingstmontag, 29. Mai. Beginn ist heute um 19.30 Uhr, am Montag um 18 Uhr. Restkarten sind noch verfügbar.

Seit sieben Jahren gehört Peroš zum Ensemble des Hauses. Die Entwicklung des Sängers ist konstant. Von Jahr zu Jahr wird seine Stimme voller, eindringlicher, aber auch geschmeidiger. So gelingen ihm sowohl intensive als auch gefühlvolle Partien. »Erfahrung sammeln ist dabei wichtig«, erklärt er. »Heute kann ich dramatische Passagen viel länger auf hohem Niveau meistern als früher.«

Irgendwann wird das Große Haus zu klein für ihn, nicht wahr? »Das höre ich in letzter Zeit oft.« Er schmunzelt. Weil er weiß: Die Wagner-Partien rufen. Als Kurwenal im »Tristan« hat er im vergangenen Jahr einen Vorgeschmack gegeben auf das, was möglich ist. Noch aber drängt die Zeit nicht. Mit beiden Händen streicht er sich über den stattlichen Leib: »Auf den ›Fliegenden Holländer‹ kann ich noch fünf Jahre warten.«

Aber Gralskönig Amfortas aus dem »Parzival«, der reizt ihn schon. Peroš überlegt: »Das ist vielleicht meine Lieblingsfigur.« Abgesehen von der natürlich, die er gerade singt. Oder singen wird. Zu Beginn der neuen Spielzeit steht Verdis »Rigoletto« auf dem Programm. »Der tragische Hofnarr ist eine traumhafte Rolle«, freut sich der Künstler.

Als wandelbarer Solist interessieren ihn die vielschichtigen Charaktere. »Der Bariton gibt ja meist den Antagonisten, nicht den Protagonisten.« Soll heißen: Als Gegenspieler des Tenors hat die Partie mit der dunkleren Stimmfarbe mehr Facetten zu bieten als die des Reinen, Edlen, Guten. Aber ist es nicht blöd, wenn der Tenor das Mädchen kriegt? Peroš lacht: »Ich bin glücklich verheiratet.«

Wird er nervös vor einer neuen Bühnenherausforderung? »Eher nicht. Aber ich begegne jeder Aufgabe mit großem Respekt.« In seinen Augen blitzt der unbedingte Wille auf, auch als Rigoletto dem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Das Antizipieren ist ihm wichtig. »Ich ziehe meine Kraft aus den Proben und aus den Vorstellungen.« Und danach? Er lacht noch mal: »Bei einer Party bin ich der Allerletzte, der morgens um sieben geht.«

Lernen? Hört nie auf

Peroš, in Zagreb geboren, stammt aus einer kreativen Familie. Der Vater Bildhauer und Designer, die Mutter Koloristin für Zeichentrickfilme, die Oma Pianistin und der Ururgroßvater ebenfalls Bariton. Im Alter von acht Jahren lernte der kleine Grga das Klavierspielen und genoss bis zum Gymnasialabschluss eine Ausbildung an der auf Musik und Gesang spezialisierten Elly-Bašic-Schule.

Ab 2002 studierte der Kroate in seiner Heimatstadt Philosophie und Informationswissenschaften, 2008 schloss sich eine private Gesangsausbildung an. »Aber erst als Student an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Graz habe ich das Singen richtig gelernt.« Das war 2011. »Und, um ehrlich zu sein, das Lernen hört nie auf.«

Das Ergründen der deutschen Sprache gehörte für ihn von Anfang an dazu. Er spricht sie akzentfrei mit leichtem Wiener Schmäh. Seit 2018 lebt er mit seiner Frau Irina, Mezzosopranistin des Chors der Wiener Staatsoper, in der Mozartstadt. Apropos Wien: Wie wär’s zur Abwechslung mal mit einer Operette? »Nein, danke.«

In Graz erhielt Peroš mehrere Stipendien. Am Theater Klagenfurt und in Berlin stand er schon früh im Rampenlicht. An Gießen schätzt er die kurzen Wege und am Stadttheater die Motivation durch die Kollegen. »Unsere Proben verlaufen konstruktiv, das ist wichtig.« Der Sound muss stimmen. Das Gefühl auch. Musik ist seine Droge. Sie macht ihn glücklich. Wer kann das schon von seiner Arbeit behaupten?

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