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Schlafende 13-Jährige missbraucht – „Letzte Chance“ für Täter

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Von: Rüdiger Soßdorf

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Kind Missbrauch (Symbolbild)
In einem Dorf im Kreis Gießen soll ein junger Mann ein Mädchen missbraucht haben, während dieses schlief. Der heute 22-Jährige räumte die Tat vor Gericht ein. (Symbolbild) ©  Jussi Nukari/Lehtikuva/dpa

Ein sexueller Übergriff auf eine schlafende 13-Jährige – dafür wird ein 22-Jähriger in Gießen zu einer Haftstrafe verurteilt. Einzig sein Geständnis trägt dazu bei, dass das Urteil nicht ganz so hart ausfällt.

Gießen – Mitten in der Nacht, gegen 2.30 Uhr, schlich sich der junge Mann ins nahe liegende Kinderzimmer einer 13-Jährigen, öffnete die Hose des schlafenden Mädchens und griff ihr in die Unterhose. Sexueller Missbrauch und sexueller Übergriff nennen dies die Juristen - eine schwere Straftat. Vor einem Jugendschöffengericht am Gießener Amtsgericht räumte der heute 22-jährige R. die Tat ohne Wenn und Aber ein.

Darüber hinaus machte der Angeklagte allerdings keinerlei weitere Angaben zu dem Vorfall in den frühen Morgenstunden des 19. Januar 2020 in einem Dorf im Kreis Gießen. Die Heranwachsende, die mit ihrer Familie Anzeige erstattet hatte, wurde in ein monatelanges Martyrium gestürzt, legte der Rechtsbeistand der Familie in seiner Rolle als Nebenkläger vor Gericht dar. Das Mädchen befindet sich in therapeutischen Gesprächen. »Sie muss mit dem Ereignis ein Leben lang umgehen«, sagte der Nebenklägervertreter. Er forderte eine harte Bestrafung - jedenfalls keine Strafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Zumal R. vor Gericht kein Wort der Entschuldigung oder des Bedauerns kundtat.

Kreis Gießen: Bewährungsstrafe nach sexuellen Übergriff auf Kind

Just für eine Bewährungsstrafe entschied sich aber das Gericht - und hatte es sich dabei nicht leicht gemacht, wie Richter Heiko Kriewald in der Begründung darlegte: Das - wenngleich kurze - aber klare Geständnis des Täters war wohl der ausschlaggebende Faktor für das Urteil, das ansonsten womöglich härter hätte ausfallen können.

Ein Jahr und acht Monate Haftstrafe verkündete Richter Kriewald, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden. Zudem muss der junge Mann an sexualtherapeutischen Gesprächen teilnehmen und 1000 Euro an den Verein »Wildwasser« mit seiner Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch zahlen.

Warum wird die Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt? Das Gericht hielt dem Mann zugute, dass er die Tat unumwunden eingeräumt hat und sich einsichtig zeigt - selbst auf die Gefahr hin, dass ihn dies ins Gefängnis hätte bringen können und es ihm seinen Aufenthaltstatus in Deutschland kaputtmacht. Denn R. hat 2013 als Jugendlicher seine Heimat Afghanistan verlassen und ist auf dem Landweg über die Türkei nach Griechenland gekommen - und von dort 2015 nach Deutschland. Hier lernte er schnell Deutsch, drückte noch einmal die Schulbank und ging dann arbeiten, heute als Anlagenführer in einem Industriebetrieb. Mit seinem Einkommen unterstützt er die Familie in Afghanistan. Bei einem harten Urteil könnte R. seinen ausländerrechtlichen Status riskieren.

Mit dem Urteil folgt das Gericht vollumfänglich der Anklagevertretung. Denn auch Staatsanwalt Dr. Volker Bützler hatte signalisiert, eher Milde walten zu lassen, und hatte dafür plädiert, dem jungen Mann »eine letzte Chance« zu geben. Denn mit seinem Geständnis hatte R. weiteren Zeugen und auch dem Opfer seines Übergriffs den Auftritt vor Gericht erspart.

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Für den Angeklagten spricht laut Staatsanwalt zudem, dass er sich seit seiner Einreise in Deutschland vor knapp sechs Jahren große Mühe gibt, hier anzukommen, und beruflich gut integriert ist. Das Stichwort auch des Staatsanwalts: »günstige Sozialprognose«.

R.s Verteidiger erinnerte zudem daran, dass sein Mandant hier soziale Bindungen aufgebaut hat, erfolgreich seinem Beruf nachgeht und nach der Tat zwischen Februar und Mai schon drei Monate in Untersuchungshaft verbracht hat.

Warum aber die Betonung auf »letzte Chance«? R. ist schon einmal auffällig geworden, stand im vergangenen Jahr bereits in Niedersachsen vor Gericht. Auch damals lautete die Anklage sexueller Missbrauch und sexueller Übergriff. Mit einer seinerzeit Elfjährigen aus Hannover hatte er sich wohl mehrfach auf einem Bahnhof zum Sex getroffen. So wie es im Gericht anklang, geschahen diese Treffen aber »einvernehmlich«. Da das minderjährige Mädchen an R. auch noch Bilder von sich geschickt hatte, brachte es ihm zudem eine Anklage wegen Besitzes von Kinderpornografie ein - und im Jahr 2020 eine Jugendstrafe von zwei Jahren, die ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt ist.

Angesichts des zweiten Vorfalls dieser Art halten Staatsanwalt wie auch Gericht eine Therapie für »nötig und angemessen«. Nur »ein kleiner Verstoß noch gegen die Auflagen, wie etwa das Fernbleiben von der Therapie oder irgendein anderes Vergehen - und die Bewährung wird widerrufen«, gab Richter Kriewald dem jungen Mann mit auf den Weg. (Rüdiger Soßdorf)

Zuletzt machte ein gänzlich anderer Fall, der vor dem Amtsgericht Gießen verhandelt wurde, Schlagzeilen: Eine Mutter brachte ihren unschuldigen Sohn über sieben Monate in U-Haft.

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