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Leidenschaft und Melancholie

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Von: Dr. Olga Lappo-Danilewski

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Sally Bowles, Marilyn Monroe, Spinnenfrau: Die Bandbreite von Sophie Berners Kunst hat die heimischen Theaterfans in den vergangenen Spielzeiten beeindruckt. Nun blätterte die Sängerin, Musicaldarstellerin und Schauspielerin in einem Soloabend die privatere Seite ihres Lebens ausdrucksstark auf und outete sich mit ihrer Band als eine virtuose Arrangeurin.

Aus diskretem Theaternebel tritt sie heraus, lässt das Symbol für Illusion, den roten Luftballon, platzen. Einzige Requisiten sind Hocker und Mikro, links der Flügel, in der Mitte hinten die Residenz des Gitarristen und rechts die Schlagzeug-Batterie. Ansonsten diverse Lichtquellen mit wechselnden Farben, wie es sich für eine Show gehört. Sophie Berner gibt nach etwas bemüht wirkendem Einstieg mit Publikumskontakt (»Sie heißen Lothar – genau so hab ich’s mir vorgestellt«) einen fulminanten Querschnitt durch alle Facetten ihres Könnens.

Die ersten 45 Minuten am Freitagabend im Theater beherrschten ein fetzig-poppiges Feuerwerk aus Verflechtungen und Montagen, und die Hörerohren mussten schnell umschalten, um die in wechselnden Tempi und Tonarten schillernden Zitate zu erkennen: Come together, Ich lieb‹ dich (noch) und Fever, Lieder von Barbara, Hermann van Veen, Nancy Sinatra, John Lennon, Diana Washington. Dazwischen eine witzige mimische Persiflage (»Wangen einziehen für das perfekte Selfie!«), augenzwinkernde Betrachtungen über zu erschießende Typen oder philosophische Gedanken zur klein gewordenen Welt: Der luftgefüllte Riesenglobus durfte über die voll besetzten Parkettreihen hüpfen.

Immer wieder regte Sophie Berner die Vorstellungskraft an, ohne dass ein großer dramaturgischer Bogen zu erkennen war. »Pure Imagination« bot Einzelbilder wie in einem Kaleidoskop; dennoch fiel nichts auseinander, da die Künstlerin mit der Regie des erfahrenen Titus Hoffmann offensichtlich in bestem Einvernehmen stand. Ein Ton, ein Wort, eine Bewegung zwischen den Musikern und der Solistin griffen so bruchlos ineinander, dass die Spannung perfekt gehalten wurde.

Gelungen der Übergang vom romantischen Lied »Im schönen Monat Mai« ins Pop-Genre (klassisch geschult und aufmerksam am Flügel Nicolai Orloff). Ebenso harmonisch integriert: Daniel Zenke an Gitarre und Bass sowie Kai Schönburg am Schlagzeug. Den Ton traf Sophie Berner in ihrer Fassung »Der Haifisch, der hat Zähne«, und als sie Edith Piafs »Je ne regrette rien« auf individuelle Weise uminterpretierte, meinte man gar die besondere Stimmfärbung der großen französischen Chansonette herauszuhören.

Natürlich durfte das erwartete Arrangement zu »Cabaret« nicht fehlen, und für Sally Bowles brachte Sophie Berner einen Verdacht auf den Punkt: die Romanfigur sei in Wirklichkeit ein homosexueller Mann gewesen. Auch Berners Affinität zu (Bizets) »Carmen« schlug sich in einem musikalischen Ausschnitt nieder, so dass die Idee nahe lag, hier eine neue Carmen-Interpretin mit etwas Musical-Farbe vor sich zu haben…

Spröder Charme, gepaart mit Ironie und Humor, Melancholie, feuriges Temperament und ein gut trainierter Körper samt schönem Gesicht darüber – da braucht’s nicht viele Kostümwechsel. Sexappeal und Fummelschau hielten sich in Grenzen, und an Sophie Berner sehen strenges Schwarz, rote Plastik oder geile Stiefelchen ebenso gut aus wie lange Gala. Die Vielfarbigkeit von Stimme zusammen mit Beweglichkeit des Spiels, feiner Mimik und Zwischentönen in ihren meist deutschen Liedtexten gaben besonders dem zweiten Teil des Abends die persönliche Note. Herzlicher Beifall und Zurufe für einen überzeugenden Auftritt! ´(Foto: rw)

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