Leichen pflastern seinen Steg

Drei Sänger in Italien. Das Orchester auf der Bühne. Und vier Tote. Bei der »Tosca«-Premiere im Stadttheater wird einiges anders als bei anderen Opern.
Er spricht sieben Sprachen, hat sieben Berufe und ist 47 Jahre alt. Die Sieben dürfte für Martin Andersson eine Glückszahl sein. »Ich fühle mich hier sehr wohl«, sagt der Videokünstler, Dokumentarfilmer, Jazzpianist, Multimedia-Experte, Ökologe und Agrarwissenschaftler in Bezug auf sein neues Arbeitsfeld als Opernregisseur. Im Stadttheater steht seine Inszenierung der »Tosca« von Giacomo Puccini auf dem Programm. Mit Gewaltszenen und vier Leichen am Ende.
Um das Ganze zu einem virtuellen Ereignis zu machen, sitzt das auf 70 Musiker vergrößerte Orchester während der Vorstellung auf der Bühne - der Graben ist zu klein für diesen Klangapparat. Im Vorfeld hat Andersson gemeinsam mit seinen drei Hauptdarstellern Videoeinspielungen gedreht. Aber nicht am Schwanenteich, sondern in der Nähe von Rom. Premiere wird am kommenden Samstag, 25. März, um 19.30 Uhr im Großen Haus gefeiert. Die letzte Vorstellung läuft am 29. Mai. Einer möglichen Wiederaufnahme erteilte die Künstlerische Leiterin des Musiktheaters, Ann-Christine Mecke, während des Pressegesprächs eine Absage: »Wegen des Aufwands und der großen Besetzung.«
Andersson inszeniert für Leute, die eher selten in die Oper gehen. »Etwa für meinen Bruder, der mit seinen Kindern zur Premiere kommt«, lächelt der Regisseur. Seine Arbeit soll nachvollziehbar sein. Spannend. Authentisch. Was noch? »Emotional«, sagt der Naturwissenschaftler. Er siedelt das Meisterwerk, das in Gießen zuletzt 1998 in der Regie des damaligen Intendanten Guy Montavon zu sehen war, in einer fiktiven Diktatur im desolaten Heute an. Ein allsehendes Auge ist für die totale Überwachung zuständig.
»In meinem Fokus steht das Verhalten von Menschen in einem repressiven politischen System«, betont Andersson. Die Videoeinspielungen ergänzen das Geschehen um die hinzugedichtete Vorgeschichte der Hauptfiguren als Dreiecksbeziehung. Die Buddies sind gemeinsam auf Tour. Die Vespa brummt. »Alle waren sofort Feuer und Flamme von dem Videoprojekt, trotz unseres minimalen Budgets«, sagt Mecke. Andersson ergänzt, man habe sich in Italien angefreundet. Kein Stress bei den Dreharbeiten. »Wenn die Sänger einen Espresso trinken wollten, tranken wir einen Espresso.«
Und worum geht’s nun? Um Menschen am Abgrund. Baron Scarpia hat als Polizeichef beschlossen, vom System zu profitieren und auf die Moral zu pfeifen. Maler Cavaradossi hegt Widerstand und stirbt. Sängerin Tosca setzt auf die Kunst. Es nützt ihr nichts.
Die lettische Sopranistin Margarita Vilsone ist erstmals als Tosca zu erleben, Bariton Grga Peroš aus dem Ensemble des Theaters debütiert als Scarpia. Der südkoreanische Tenor Michael Ha gibt den Cavaradossi. Die musikalische Leitung haben Generalmusikdirektor Andreas Schüller und sein Stellvertreter Vladimir Yaskorski.
Die Kostüme von Dorothee Joisten sind totalitären Staaten abgeschaut. Sie mischt Kirchliches mit Militärischem. Das Bühnenbild von Lukas Noll deutet eine sakrale Architektur an. Das Orchester wird von einem schmalen Laufsteg geteilt, der sich bis zur Brandmauer erstreckt. Nach und nach verlagert sich die Handlung auf die Vorderbühne. Andersson: »Wir spielen bis zur ersten Reihe, da der Orchestergraben ja geschlossen ist.«