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Leerstand kreativ nutzen

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Von: Karola Schepp

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Start-Ups mit Platzbedarf und wo es auch mal dreckig werden kann, Installationskünstler mit großem Raumanspruch, Talente, die sich handwerklich austauschen und inspirieren wollen - all das ist möglich auf den rund 180 Quadratmetern der ehemaligen Werkstatt in der Wetzsteinstraße 28. © Red

Leute vernetzen, die Stadt ein bisschen attraktiver machen und Kreative mit Raumbedarf und Besitzer von leerstehenden Immobilien zusammenbringen - das will das Projekt »Urbanautik« der Kreativgenossenschaft raumstation3539. Und dafür geht es neue Wege.

Es ist viel genialer, wenn die Leute sich vor Ort treffen und sich vom Ambiente inspirieren lassen«, sagt Heike Meister. Gemeinsam mit Hagen Reier kümmert sie sich im »Urbanautik«-Projekt der Raumstation 3539 (einem Zusammenschluss von Künstlern, Kreativen, Start-Up-Unternehmern und anderen Engagierten) darum, dass leerstehende Räume in Gießen von kreativen Köpfen aus der Stadt zwischengenutzt werden können. Pop-up-Shops, Co-Working-Plätze, Start-ups, Ateliers - hinter den für viele Immobilienbesitzer vielleicht etwas sperrig wirkenden Begriffen verbirgt sich die Chance auf eine Win-Win-Situation für beide Seiten.

Denn wenn etwa eine alte Werkstatt oder ein leerstehendes Ladengeschäft von Menschen aus der Kreativwirtschaft zwischengenutzt werden kann, profitieren beide Seiten. Immobilienbesitzer freuen sich über ein Mittel gegen Leerstands-Vandalismus, regelmäßiges Lüften und Heizen in der dann belebten Immobilie, einfach zuverlässige und wertschätzende Zwischenmieter. Und Gießens kreative Köpfe, die dringend nach Raum für Ausstellungen, Konzerte oder Werkstattarbeit suchen, finden zumindest vor-übergehend eine Bleibe.

Ortsbesichtigung und Kontaktpflege

Dies wollen Meister und Reier mit ihrer Arbeit unterstützen und bieten dafür nicht nur als seriöser Ansprechpartner für beide Seiten ihren Einsatz an, sondern wollen das nun auch noch mehr in die Öffentlichkeit tragen. »Wir hoffen auf einen Leuchtturmeffekt«, betonen sie.

Dafür haben sie ein neues Format von Ortsbesichtigungen entwickelt, das erstmals in einer ehemaligen Schreinerwerkstatt in der Wetzsteinstraße 28 durchgeführt wurde. Deren neuer Besitzer hat sich bereit erklärt, die alte Werkstatt im Hinterhof mit ihren 180 Quadratmetern, Starkstromanschluss und Industrial-Charme zur Zwischennutzung freizugeben, bis endgültig entschieden ist, wie es dort baulich weitergeht.

Rund 15 Interessenten kamen zur Ortsbesichtigung, ließen sich vom Backstein-Ambiente inspirieren, entwickelten gemeinsam erste Nutzungsideen und besprachen, wie in den Räumen unterschiedlichste Interessen zusammenfinden können. »Einige Künstlerinnen überlegten, gemeinsam eine Ausstellung zu konzipieren; eine Vintage-Kleidung-begeisterte Jungunternehmerin bekam Anregungen für ein kleines Event mit Livemusik. Andere wiederum begeisterten sich für die Idee der gemeinschaftlichen Nutzung von Werkzeugen und handwerklichen Wissensaustausch«, erzählt Heike Meister. »Alle stehen jetzt so ein bisschen in den Startlöchern.«

»Wir wollen Transparenz und nicht Konkurrenz fördern«, betont Meister, die die Bedarfe nun koordinieren wird und in Kooperation mit der Stadt Gießen als Ansprechpartner für Mieter wie Vermieter fungiert. Schließlich gehe es nicht »um alternative Hausbesetzer, sondern Kreativwirtschaftler, die arbeiten wollen«.

Dass in anderen Städten auch hochwertige Immobilien für Zwischennutzungen angeboten werden, zeigt, dass das Prinzip funktioniert. Es gibt keine Mindestmietzeiten. Besitzer von leerstehenden Immobilien und Kreative mit Raumbedarf können sich gleichermaßen an die »Urbanautik« wenden, die zwar nicht gemeinnützig ist, aber gemeinnützige Ziele verfolgt. »Wir wollen, dass sich die Leute gut aufgehoben fühlen«, sagen sie und handeln nach dem Motto »Schaffen wir die Stadt schön«.

Die Genossenschaft raum-station3539 vernetzt Initiativen und schafft Synergien. Sie betreibt in der Grünberger Straße 22 die »Anschlussverwendung«, wo in einem ehemaligen Schlecker-Markt mit Co-Working-Plätzen Pop-Up-Shop und Veranstaltungen für bis zu 65 Personen die Keimzelle der Genossenschaft ist, und in der Georg-Philipp-Gail-Straße 5 das prototyp. In dem ehemaligen Kirchengebäude gibt es einen Veranstaltungssaal samt Theke für bis zu 199 Personen, Co-Working-Plätze, einen Garten sowie für Seminare, Unterricht etc. anmietbare Nebenräume. Aktuell stehen auch drei kostenfreie Co-Working-Plätze ausdrücklich für Geflüchtete bereit, die dort arbeiten wollen.

»Wir haben Platz für Eure Ideen«

»Wir haben Platz für Eure Ideen«, wirbt die Genossenschaft und setzt alles daran, in Gießen ein »lebenswertes Umfeld« zu schaffen. Die Mitglieder helfen auf Nachfrage auch bei Förderanträgen, verstehen sich nicht als Makler für Leerstandsnutzungen, sondern als Engagierte im Sinne des Gemeinwohls und richten sich ausdrücklich nicht an eine bestimmte Zielgruppe, sondern an alle in Gießen und Umgebung.

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