Kunsthalle im »Exil«

Wegen Renovierungs- arbeiten hat die Kunsthalle im Rathaus geschlossen. Trotzdem wird jetzt ein neues Programm präsentiert: Als Gast am Unteren Hardthof startet eine Performance-Reihe mit einer »radikalen« Darbietung.
Wir sind hier an einem besonderen Ort«, sagt Nadia Ismail, die Leiterin der Kunsthalle, am Unteren Hardthof. Besonders, weil die Stätte eine lange Geschichte als Atelier und Bühne hat und weil nun auch die Kunsthalle zu Gast ist. Denn während in den Räumen am Rathaus die Lüftungsanlage und der Boden ausgetauscht werden, startet die Kunsthalle Ende Juni im Unteren Hardthof die Performance-Reihe Exbodiment. Kuratorin Tarika Johar sagt: »Wir haben zehn ganz besondere Künstler eingeladen, die international die Performancekunst mitgeformt haben.« Immer zwei Gäste - eine Person kommt dabei aus Europa, die andere von außerhalb - werden zusammen auftreten. »Und dabei werden auch widersprüchliche Performancebegriffe zusammenkommen«, sagt Johar. Ismail fügt an: »Was genau die Künstler machen werden, wissen sie dabei teilweise selbst noch nicht.« Das hänge von der Spielstätte ab - und die kennen sie noch nicht.
Internationale Performancekunst
Im Unteren Hardthof werden die Künstler schließlich die Wahl zwischen drei Bühnen haben: Zum einen können sie die grüne Wiese bespielen, zum anderen aber auch ein Atelier mit einem innenliegenden, umlaufenden Balkon. Der erlaubt entweder das Betrachten der Performance von Oben oder das Spielen auf zwei Ebenen. Die dritte Bühne bildet der alte Brauereikeller auf dem Areal. Dessen Räume sind kalt und schaurig beleuchtet, es tropft Wasser von der Decke und teilweise liegt der Fels blank. »Der Untere Hardthof ist ein sehr diverser Ort«, sagt Johar.
Ismail ist gespannt, für welchen Spielort sich die jeweiligen Künstlerinnen und Künstler für ihre Auftritte im Rahmen der Exbodiment-Reihe entscheiden werden. Der Name des Projekts leitet sich übrigens von der Performancekunst selbst ab. Johar erklärt: »Die Künstler haben Wissen in ihrem Körper gespeichert, das bei ihrem Auftritt nach außen transportiert wird.«
Die Reihe ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit dem Kölner Kunst-Archiv »Die Schwarze Lade«. Das besteht seit 1981 und sammelt Fotos, Videos und Dokumentationen, aber auch Broschüren oder Flyer von Performancekunst. »Ganz besonders sind aber die Netzwerke«, sagt Johar. »Die Schwarze Lade« habe Verbindungen in die Szene hinein. »Es steht damit als Werkzeug bereit, um Impulse in die Gegenwart zu geben.« Die Auswahl der Künstler für die Exbodiment-Reihe sei so aus dem Archiv heraus entstanden.
Wissen im Körper gespeichert
Den Auftakt werden am 28. Juni Skip Arnold aus den USA und Nigel Rolfe aus Irland machen. Und Ismail verrät bereits: »Es wird radikal werden.« Arnold ist bekannt für seine Nackt-Performances. Für diese Art von Auftritten sei der Untere Hardthof eine gute Bühne, erklärt die Leiterin der Kunsthalle. »Wir haben hier einen geschützten Raum.« Niemand könne aus Versehen in die Vorstellung stolpern und sich an dem Anblick stören.
Ismail denkt auch nicht, dass es eine Verschlechterung darstellt, dass die Kunsthalle temporär aus der Mitte von Gießen an den Stadtrand gewandert ist und dadurch viele Besucher ausbleiben könnten. »Kunst kennt keine Grenzen«, sagt sie.
Neben Exbodiment steht auch das weitere Programm der Kunsthalle für die kommenden Monate fest. So wird im Juli das Projekt »What’s on your wall?« in Kooperation mit der Gießener Allgemeinen Zeitung starten. Digital und analog - auf Instagram und in dieser Zeitung - werden Künstler, Kulturschaffende und andere interessante Menschen einen Blick auf Kunst an ihren Zimmerwänden ermöglichen.
Im Oktober wird es dann eine künstlerische Intervention mit Bezug zum Game-Design auf den Socialmedia-Kanälen der Kunsthalle geben, und für Februar 2023 ist ein Überblickkatalog über die Arbeiten der Künstlerin Julia Scher geplant.
Die Kunsthalle hat also auch im »Exil« ein volles Programm aufgestellt, bis sie - so die Planung - Ende Januar 2023 wieder an den Berliner Platz zurückkehren kann.