Kunst und Wirtschaft im Kiosk

Gießen (dkl). Wieder eine besondere und ganz andere Ausstellung des neuen Kunstvereins. Die Münchener Künstlerin Lucia Dellefant befasst sich mit Wirtschaft und Kunst. Sie lotet die Schnittmengen mit Aktionen und Installationen aus. Am Kunstkiosk, Ecke Licher Straße und Nahrungsberg, hängt derzeit in großen Buchstaben »EUWI«. Das meint auf Deutsch und Englisch:
Europa Wohlstands Index bzw. Europe Wealth Index. Den propagiert sie nämlich.
Der Wohlstand von Staaten wird bislang mit dem Bruttosozialprodukt angegeben. Eine ungerechte Berechnungsgrundlage, findet nicht nur die Künstlerin. »Wenn Sie zum Beispiel einen Autounfall haben, haben Sie einen Verlust, dennoch wirkt es sich positiv auf den Index aus, da Werkstätten und Autohändler dadurch Verdienste haben.« Das heißt, wirtschaftliche Leistungen können auch negative Auswirkungen auf unsere Lebensqualität haben. Vor allem aber werden ehrenamtliche Tätigkeiten, unbezahlte Familienarbeit oder Open-Source- Entwicklungen derzeit nicht mitgerechnet, führt Dellefant weiter aus. Ebenso werden Faktoren wie soziale Gerechtigkeit und der Zustand unserer Natur bislang nicht berücksichtigt.
Wie kommt da die Kunst ins Spiel? Lucia Dellefant hat für Gießen eine Mitmachaktion erdacht und gestaltet. Sie hat acht Postkarten drucken lassen, auf deren Vorderseite Begriffe stehen, die auf der Rückseite in einem Anschreiben an den Bundeskanzler erläutert werden. Diese Postkarten sollen möglichst viele Ausstellungsbesucher an die Bundesregierung abschicken. Der Auslöser für diese Aktion war nämlich, dass im Koalitionspapier der neuen Bundesregierung steht, dass der Berechungsindex auf andere Grundlagen gestellt wird.
Postkarten an die Regierung schicken
Auf diesen Postkarten sind Worte wie »umsonst« und »kuscheln« zu lesen, das steht für Ehrenamt und unbezahlte Familienarbeit, »voll an die Wand« steht für den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen, und »zufrieden« meint die Zufriedenheit der Bürger, die künftig miteinfließen soll in die Berechnung. Eine weitere Postkarte ist unbedruckt, damit Teilnehmende auch ihr eigenes Statement abgeben können. Außerdem dienen diese Postkarten in gedecktem Orange mit Weiß auch zur Wandgestaltung. Der Eindruck beim Betreten des kleinen Kunstraums ist geradezu atemberaubend.
Das gesamte Projekt nennt Lucia Dellefant »ourconomy«, zusammengesetzt aus our und economy, unsere Wirtschaft. Über andere Aktionen kann man sich im Katalog, der für 15 Euro erhältlich ist, informieren. Unter anderem hat sie vor Großkonzernen, die ihre Gewinne verschieben, Verkehrsschilder aufgestellt mit dem Wort »Steueroase«. Die blieben unterschiedlich lang stehen, erzählt mit einem Lachen (siehe dazu www.dellefant.de).
Steueroase-Schilder vor Großkonzernen
Überhaupt scheint sie bei aller Ernsthaftigkeit des Themas ein fröhlicher, vor allem positiv gestimmter Mensch zu sein. Sie hat Mitte der 1980er Jahre Kunsterziehung an der Universität München studiert, doch da der Beruf des Kunsterziehers an Schulen 1990 abgeschafft war, hat sie nie als solcher gearbeitet. Sie blieb freischaffende Künstlerin, hatte Stipendien im In- und Ausland, war beteiligt an zahlreichen Ausstellungen und hat Kunst im öffentlichen Raum geschaffen. Übrigens ist Dellefant kein Künstlername, da haben ihre Vorfahren den italienischen Namen bayerisiert. Eine gute Voraussetzung für Humor.
Die Ausstellung ist bis 11. Juni im Kunstkiosk zu sehen - auch von außen. Alle Infos auf www.kunstverein-giessen.de.