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Kulturinitiative Gießen verliert ihre Probenräume im Europaviertel

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Von: Sebastian Schmidt

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Die Kulturinitiative Gießen verliert ihre Proberäume im Europaviertel. Ein Verlust, der nur schwer zu ersetzen sein wird.

Gießen – Seit mehr als 20 Jahren ist die Kulturinitiative Gießen mit ihren rund 100 Probenräumen im Europaviertel die Anlaufstelle für Bands aus dem gesamten Umland. Ob Pop-Ikonen wie Juli oder Punk-Urgesteine wie die Boxhamsters – sie alle haben dort geprobt. Jetzt wird der Mietvertrag für die Gebäude nicht mehr verlängert. Ersatz ist nicht in Sicht.

»Tage wie dieser kommen nie wieder, Tage wie dieser sollten nie vergessen geh’n«, singt Eva Briegel in einem Lied der Band Juli. Bekannt ist Juli mittlerweile deutschlandweit, gegründet wurde die Formation einst in Gießen. Und geprobt haben die Musiker an dem Ort, an dem unzählige Bands aus der Stadt und dem Umland einen Unterschlupf gefunden haben: In den Räumen der Kulturinitiative Gießen (KIG) im Europaviertel. Jetzt steht dieser Mikrokosmos der lokalen Musikszene jedoch vor dem Aus: Die beiden angemieteten Gebäude sollen saniert werden, Ende 2024 muss der Verein ausziehen. Die Suche nach einem Ersatz ist schwierig.

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Vor 20 Jahren nur als Zwischenlösung gedacht: Die Probenräume des KIG im Europaviertel. Jetzt braucht der Verein neue Räume. © Oliver Schepp

Kulturinitiative Gießen verliert Proberäume, aber »Der Bedarf in der Stadt und im Umland ist riesig«

1996 hatte die KIG das erste von zwei Gebäuden in der ehemaligen Steuben-Kaserne bezogen, heute unterhält der Verein auf dem Gelände rund 100 Probenräume. Und die Anzahl an Musikern, die dort seit dem gespielt haben, ist gewaltig. Alleine die Mitgliedsnummer des Vereins steht gerade bei 1700, sagt KIG-Vorstandsmitglied Frank Altmeier. Viele Probenräume sind mehrfach belegt, die Warteliste ist lang. »Der Bedarf in der Stadt und im Umland ist riesig.«

Dabei war der Bezug der Gebäude im Europaviertel eigentlich nur als Zwischenlösung gedacht gewesen, erklärt Altmeier. »Die Stadt Gießen wollte damals noch etwas Passenderes für uns suchen.« Das habe sich dann verlaufen und so wurde die Kulturinitiative für mehr als 20 Jahre zu Dauermieterin auf dem ehemaligen Militärgelände.

Die Proberäume sind abgenutzt, neue Mieten werden aber deutlich teurer

Den früheren Kasernen-Gebäuden merkt man die Zeit inzwischen an. Altmeier sagt: »Das Ding ist einfach abgerockt.« Fenster seien nicht mehr richtig dicht - ein Problem bei der Lautstärke, weil Bebauungen auf Nachbargrundstücken in den vergangenen Jahren näher an die KIG herangerückt seien. Auch die Heizung stamme noch aus den 60ern. »Wir wissen alle, wie viel an diesen Gebäuden gemacht werden muss«, sagt Altmeier. Er erhebt deswegen auch keine Vorwürfe in Richtung des Vermieters. Im Gegenteil: »Wir durften hier 25 Jahre zu einem Mietzins sein, mit dem gerade so die Gebäudeerhaltungskosten getragen werden konnten.«

Die günstige Miete habe es dem Verein ermöglicht, an die Bands Probenräume für sechs Euro pro Quadratmeter zu vergeben. »Wenn wir uns jetzt nach neuen Angeboten umschauen, liegen die Preise wesentlich höher«, sagt Altmeier. Und nicht nur der Preis der Probenräume werde sich in Zukunft wahrscheinlich verändern, auch die Struktur des KIG.

Die KIG verliert ihre Proberäume – Suche nach Lösungen

Einen einzigen Gebäudekomplex zu finden, der wie bisher 100 Probenräume hergibt, ist eine fast unlösbare Aufgabe. In Gießen sowieso, deswegen sucht die KIG auch im ganzen Landkreis nach einzelnen Immobilien. Dass sich Musiker zufällig auf den Fluren treffen und austauschen, wird bei einer Verteilung auf viele Standorte dann aber seltener möglich sein.

Die Stadt Gießen stehe unter der Führung des Oberbürgermeisters Frank-Tilo Becher im Austausch mit dem Verein, sagt Sprecherin Claudia Boje. Man lote zur Zeit mehrere Möglichkeiten aus, der Musikszene zu helfen: So will die Stadt den Verein bei der »Suche nach Ersatzräumen im Stadtgebiet und darüber hinaus« unterstützen. Zudem soll geprüft werden, ob mobile Probenraummodule eine Lösung sein können, sagt Boje.

Die sanierten Proberäume der KIG werden zu Büroräumen

Daniel Beitlich, der Vermieter der alten Kasernen-Gebäude, rechnet indes damit, dass die Sanierung bis 2025/2026 dauern wird. Danach sollen die Häuser im Europaviertel als Bürogebäude genutzt werden. Der KIG-Vorstand hat es sich zum Ziel gesetzt, bis Dezember eine Lösung zu finden. Bis es am 31. Dezember 2024 für die Musikkultur im Europaviertel dann tatsächlich heißt: »Tage wie dieser kommen nie wieder.« (Sebastian Schmidt)

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