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Kultivierte Nostalgie

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Max Raabe (M.) behält auch im Duett seinen unverwechselbaren mimischen Duktus. © Heiner Schultz

Einige musikalische Bescherungen finden im Moment in den Konzertsälen statt. Nach Götz Alsmann war nun Max Raabe mit seinem hochkarätigen »Palast Orchester« in der Kongresshalle zu Gast. »Guten Tag, liebes Glück« hieß das Programm mit Titeln aus den Zwanziger, Dreißigern und der Gegenwart. Die Wirkung auf das Publikum im voll besetzten Hause war enorm, die Qualität nicht zu überbieten.

Max Raabe gehört zu den Großen des internationalen Showgeschäfts und pflegt seit der Gründung des Ensembles 1986 auf der Bühne vor allem eins, die große Geste. Ihren ersten Charterfolg hatten sie 1992 in Deutschland mit »Kein Schwein ruft mich an«, und Sönke Wortmanns Film »Der bewegte Mann« machte sie weithin bekannt.

2019 erschien die CD »Max Raabe & Palast Orchester MTV Unplugged«. Zu dieser besonderen Live-Produktion lud man Gäste ein, die sonst nicht mit ihrem Genre in Verbindung gebracht werden: Herbert Grönemeyer, Lars Eidinger, Namika, Lea, Heavy Metal Monster Mr Lordi, Pawel Popolski und Rapper Samy Deluxe. Grönemeyers »Mambo« stand auch in Gießen auf dem Programm, ein schöner Kracher.

Schon vor Beginn strömt kultivierte Nostalgie von der Bühne, dank der die klassischen Dekoration mit den typischen Schildern vor jedem Pult. »Musik zu den großen Themen des Lebens« kündigt Raabe an, bevor es mit »Ich hör so gern Musik« losgeht. Da entfaltet sich der große Klang des bläserstarken Jazzorchesters. Alles ist, wie man es kennt: Raabe sieht genauso aus wie im TV, er agiert auch genauso, und das strahlt einfach nur. Das klingt hier besser als auf jeder Anlage, der Saalsound ist samtig und transparent, nichts stört den Hörgenuss. Man hört Schlager aus den Zwanzigern und Dreißigern, an manche kann man sich noch erinnern, aber Raabe spielt auch seltenere Titel und nur ein paar Evergreens.

Nichts stört den Hörgenuss

In seiner Moderation fügt er immer wieder witzige Gedanken oder Szenen ein und ein paar kleine Geschichten aus unserer Zeit, die seine Qualität als Moderator belegen. Dabei verlässt er nie seinen eigentümlichen mimischen Duktus. Auch gesanglich nicht, er behält die typische etwas schräge gesangliche Lage immer bei, außer wenn er mit zwei Kollegen einen Titel im Chor singt. Apropos Kollegen: Das Orchester agiert mit beglückender Geschlossenheit und famoser Präzision. Und sichtbarem Vergnügen. Besonders der vielseitige Schlagzeuger Fabio Duwentester agiert wie unter Strom, lustvoll. Das perfekt eingespielte Ensemble lockert das Geschehen mit kleinen Gesten untereinander auf oder zeigt schon mal gemeinsam auf den Solisten: das wirkt witzig und ist zugleich ironisch. Zur Pause zerdeppert der Schlagzeuger in einer kleinen Szene das Glockenspiel. Das Beste ist aber die großartige handwerkliche Kompetenz der Band. Die hocheleganten und abwechslungsreichen Arrangements - immer mit Synkope auf dem Becken, zwischendurch sofort abgedämpft, der typische Sound der Dreißiger, ist an sich schon eine Freude. Hinzukommen zahllose kleine Einfälle, Breaks oder witzige Zitate. Die Bläser finden stets zu einem warmen, klaren, wunderschönen Sound. Uneingeschränkt hervorragend ist auch die Arbeit sämtlicher anderer Musiker.

Beherrschend ist Raabes Präsenz: Er schreitet zum Mikrofon und tritt betont höflich in den Schatten, wenn Solistin oder Solist gerade ihren Moment haben. Das insgesamt originelle aber eher diskrete Licht wird dann weich gedimmt, gelegentlich wird ein farbiger Schleier übers Ensemble gebettet.

Raabe artikuliert mit höchster Genauigkeit und großem Gefühl. Er ist auch ein versierter Komponist und Texter, was man in seinen Titeln wie »Côte d’Azur«, »Fahrrad fahrn« oder »Der perfekte Moment« hört. Der verschmitzte Humor, die unerwartete ironische Wendung sind dabei typisch, aber authentische Entspanntheit.

Überrascht ist er, als eine junge Frau bei Grönemeyers »Tango« plötzlich im Gang nach vorne tanzt, kein Wunder, die Musik geht richtig gut in die Beine. »In Gießen brennt die Luft«, sagt er. Als dann Glückwünsche zum Geburtstag eintrudeln und ein Chor im Saal »Happy birthday« intoniert, ist er deutlich berührt.

Das enthusiastische Publikum erklatscht sich drei schöne Zugaben, darunter auch der »Kleine grüne Kaktus«, noch mal ein Kabinettstückchen - alle sind glücklich.

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