Kult in Gießen: Kein Sommer ohne Freibad-Pommes
Nirgends sind die Pommes Mayo und das Eis am Stiel besser als am Freibad-Kiosk. Dort in Bikini oder Badehose in der Schlange zu stehen, ist in Gießen nach wie vor Kult.
Gießen - Die beiden Jungen nutzen die Zeit, bis sie an der Reihe sind. Sie zählen ihr Geld. Einmal Pommes Mayo für drei Euro, zwei Flaschen Cola für je 2,70, das macht zusammen 8,40 Euro »Super, dann geht später noch ein Twister«, sagt der eine und legt das Geld auf den Tresen. »Stimmt genau«, sagt die Servicekraft Christos freundlich und schaufelt ihnen eine ordentliche Portion auf den Pappteller. Vor den Jungs hat gerade ein Familienvater das Mittagessen für sich und seine beiden Töchter geordert. Auch sie nehmen Pommes Mayo, dazu gibt’s Hähnchen-Nuggets plus Ketchup. Sie suchen sich auf den Bänken unter den roten Sonnenschirmen ein Schattenplätzchen. Alle kauen zufrieden. Der Duft von Nivea mischt sich mit dem von Würstchen.
Mittagszeit im Freibad Ringallee in Gießen. Es ist 32 Grad im Schatten, die schwüle Hitze lastet drückend auf der Stadt. Die Liegewiesen sind nur mäßig belegt, im Wasser ist viel Platz. »So ist das seit zwei, drei Wochen«, erzählt Michael Karatzas, der Betreiber des Kiosk. »Es ist Urlaubszeit, es sind wenig Studenten in der Stadt, viele haben genug von der Sonne«, fasst er seinen Eindruck zusammen. Der 42-Jährige ist trotzdem zufrieden. Alles sei besser als die beiden Corona-Jahre des Stillstands. »Ich bin froh, wenn die Leute hier endlich wieder eine gute Zeit haben«, sagt er. Die Besucherzahlen sind bisher kaum niedriger als vor der Pandemie, sagt Stadtwerke-Sprecher Uli Boos. 2019 waren es an 139 Öffnungstagen 115 158 Badegäste, in diesem Jahr zählte man an bisher 120 Öffnungstagen 110 229 Menschen.
Freibad-Pommesbude in Gießen: „Das ist meine Welt“
Karatzas ist wie sein Bruder Stavros, der seit Jahren nur noch als Pater Arsenios bekannt und Pope der griechisch-orthodoxen Gemeinde ist, ein »Gießener Bub« mit griechischen Wurzeln. Früher hat seine Familie das Restaurant Poseidon am Hallenbad betrieben, dann folgten die Kioske im Krofdorfer Schwimmbad und an der Ringallee. Bis 2021 war Karatzas Küster und Hausmeister in der Petrusgemeinde, inzwischen ist er ganz zur Gastronomie zurückgekehrt. In den Wintermonaten und bei schlechtem Wetter arbeitet er im Restaurant Knossos als Kellner. »Das ist meine Welt, ich liebe es, wenn die Gäste sich wohlfühlen«, sagt er.

Das ist auch im Freibad nicht anders. Alle kennen Micha, und Micha kennt (fast) alle. Der 42-Jährige ist ein Mann für alle Fälle: Er hat einen coolen Spruch für jeden, er hält Sonnenschirme parat, er streckt Kindern etwas vor, wenn das Taschengeld nicht reicht. Seine Botschaft ist: »Schön, dass ihr da seid.« Darüber, dass er und seine Leute bei der Hitze vor den Fritteusen und Grills bei über 50 Grad schmoren, verliert er kein Wort. »Das ist der Job, es ist okay.« Und er weiß, was in einem kultigen Freibad-Kiosk nicht fehlen darf. Auf der Theke stehen bunte Lollis in einem Glas. Darunter liegen Wundertüten für 80 Cent. »Wie früher!«, rufen die älteren Semester nostalgisch verzückt und kramen süß-saures Zuckerzeug und Kaubonbons aus den Spitztüten.
Freibad in Gießen: Am Nachmittag kommen die Jugendcliquen
Gegenüber am Kinderplanschbecken lassen sich Mütter mit ihren Kindern nieder. Die Kleinen werden mit Sonnenmilch eingecremt, zudem wird die zarte Haut mit Hüten und T-Shirts geschützt. Einhörner und Flamingos gehen an den Start, Bälle fliegen. Im Schatten nebenan werden Picknickkörbe ausgepackt, es gibt Limo und Käsebrötchen. »Aber ein Eis bei Micha gibt es auch«, ruft ein kleines Mädchen. An Omas Hand steuert das Kind den Kiosk an. »Einen Flutschfinger bitte!«
Bevor am Nachmittag die Jugendcliquen den Lärmpegel heben und das große Posen beginnt, schleicht sich träge Mittagsmüdigkeit in die Freibad-Szenerie. »Uns wird es später zu wild und zu laut«, sagen »Uschi und Uschi«. Die beiden Freundinnen sind fast jeden Tag hier. Die Rentnerinnen haben sich vor vielen Jahren an ihrem Arbeitsplatz bei der Post kennen gelernt, früher kamen sie mit den Kindern, heute mit den Enkeln oder alleine. Sie lieben das Freibad nach wie vor, finden aber, dass heute viele Badegäste frecher und rücksichtsloser sind als früher.
Das mag sein. Der Herr des Kiosk bricht dennoch mit Leidenschaft eine Lanze für seine Gäste. »Die Ringallee ist immer noch ein friedlicher Ort für alle. Wir sind hier nicht in Berlin oder Offenbach.«