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Verkehrsversuch am Anlagenring: Norbert Fischer-Schlemm kritisiert Sicherheit und Kosten

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Von: Burkhard Möller

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Nobert Fischer-Schlemm zeigt vor dem Anlagenring auf den Plan für den Verkehrsversuch.
Nobert Fischer-Schlemm kritisiert die geplante Ausführung des Verkehrsversuchs, unter anderem am Fina-Parkhaus. Laut Bürgermeister wird die Planung an dieser Stelle geändert. © Oliver Schepp

Am Anlagenring in Gießen soll es einen Verkehrsversuch für neue Radspuren geben. Jetzt wird Kritik zur geplanten Umsetzung laut.

Gießen - Der frühere THM-Professor Norbert Fischer-Schlemm übt Kritik an Sicherheit und Kosten des Verkehrsversuchs am Anlagenring. Gießens Bürgermeister Alexander Wright reagiert gelassen.

Es ist laut, sehr laut unter dem Dachvorsprung des Fina-Parkhauses an der Südanlage. Norbert Fischer-Schlemm redet gegen den Verkehrslärm an. Der frühere THM-Professor übt Kritik an Sicherheit und Kosten des Verkehrsversuchs am Anlagenring in Gießen. Der Allendorfer will nicht falsch verstanden werden, wenn er gegen den von der Stadt geplanten Versuchsversuch am Anlagenring zu Felde zieht. Er wolle nur das Beste für die Radfahrer, betont der E-Biker: »Seit 50 Jahren setze ich mich für die Sicherheit und Förderung des Radverkehrs ein«.

In Gießen ist Fischer-Schlemm als kritischer Begleiter behördlicher Verkehrsplanungen bekannt, die er über Jahrzehnte analysiert, kommentiert und beeinflusst hat. Zum heiß diskutierten Verkehrsversuch habe er sich eigentlich nicht äußern wollen, aber spätestens mit der Empfehlung der Gutachter für die Ausführungsvariante mit einer Autoeinbahnstraße auf den äußeren Spuren und einer Fahrradstraße im Zweirichtungsverkehr auf den inneren Spuren samt Busverkehr laufen die Dinge nach Sicht des Pensionärs in die falsche Richtung: »So, wie es jetzt gemacht werden soll, ist es Schwachsinn«.

Kritik zum Verkehrsversuch in Gießen: Das sagen Fischer-Schlemm und Bürgermeister Wright

Kosten: »Das kann ich nicht verantworten. Außerdem bin ich Schwabe«, sagt Fischer-Schlemm und kündigt an, den Landesrechnungshof und das Regierungspräsidium einzuschalten. Tatsächlich liegen die Stadt und ihr Kritiker weit auseinander. Wright sprach zuletzt von jeweils einer halben Million Euro in diesem und im nächsten Jahr, die für den Verkehrsversuch ausgegeben werden sollen. Dagegen kommt Fischer-Schlemm auf mehr als zehn Millionen Euro für Planung, Umbauten, Umprogrammierung, neue Ampeln, Fahrbahnmarkierungen und neue Beschilderung an mehr als 15 Kreuzungen. Missglücke der Versuch, kämen Rückbaukosten hinzu.

Dem widerspricht Wright und sieht ein Missverständnis. »Das ist gerade der Vorteil eines Verkehrsversuchs, das der Verkehrsraum von Hauskante zu Hauskante nicht umgestaltet werden muss. Mit dem Versuch sind wir viel günstiger dran.« Außerdem müssten etliche Kreuzungen so oder so neu programmiert bzw. modernisiert werden, sagt Wright. Diesbezüglich ist er zuversichtlich, bis zum kommenden Jahr die Hausaufgaben erledigen zu können.

Kritik an der Sicherheit des Verkehrsversuchs in Gießen

An der Planung für die Kreuzung am Fina-Parkhaus macht Fischer-Schlemm seine diesbezügliche Kritik fest. Autofahrer, die von der äußeren Innenspur nach links ins Parkhaus abbiegen wollen, werden auf den Gegenverkehr von Bussen und Radfahrern achten und Radfahrer, die von hinten links vorbeifahren, übersehen. »Das gibt schwere Flankenunfälle«, sagt Fischer-Schlemm voraus.

»Die Planung wird an dieser Stelle geändert«, antwortet Wright. Zudem verweist der Verkehrsdezernent darauf, dass derartige Abbiegeunfälle durch spezielle Signalanlagen für Radfahrer verhindert werden können.

Ausweichen der Radfahrer beim Verkehrsversuch könnte zu Problemen in Gießen führen

Die Erwähnung der Radampeln führt zum nächsten Kritikpunkt Fischer-Schlemms. Wenn Radfahrer zu oft vor roten Ampeln warten müssen, werden sie auf die äußeren Autospuren wechseln, um schneller voranzukommen. Dies sei erlaubt, führe, da Autofahrer den 1,50 Meter Überholabstand einhalten müssten, aber zur Leistungseinbuße der Autospuren.

Wright hält mit dem grundsätzlichen Ziel des Versuchs dagegen: Es gehe darum, in der Innenstadt sichere Wege für den Radverkehr zu schaffen, denn nur so könne man Menschen zum Umstieg vom Auto aufs Rad bewegen. Zielgruppe seien nicht die geübten Stadtradler. »Wir wollen neue, sichere Wege anbieten. Deshalb bleibe ich dabei: Der Verkehrsversuch ist kein Symbolprojekt, sondern ein erster wichtiger Schritt für eine attraktivere Innenstadt«.

Buslinien in Gießen könnten durch den Verkehrsversuch beeinträchtigt werden

Fischer-Schlemm prophezeit eine »deutliche Verspätungshäufigkeit«, da die Busse innen auf der Fahrradstraße angesichts des Überholabstands von 1,50 Meter an Radfahrern kaum vorbeiziehen können. Fischer-Schlemm: »Die Fahrgeschwindigkeiten von Radfahrern sind sehr unterschiedlich. Wenn ein Bus hinter einer langsamen Lastenradfahrerin herzockeln muss, werden die Insassen am Bahnhof ihren Anschlusszug verpassen.« Fischer-Schlemm spricht von einer »Degradierung des ÖPNV auf den Seitenstreifen«.

Wright verweist darauf, dass das Verspätungsproblem aus unterschiedlichen Gründen in weiten Teilen des Stadtgebiets schon jetzt bestehe. Drei zusätzliche Minuten prognostizierten die Gutachter zum Beispiel für die Strecke vom Berliner Platz zum Selterstor auf der Fahrradstraße. Wright strebt hier einen Ausgleich durch Beschleunigungsmaßnahmen auf anderen Streckenabschnitten an. Da stellt sich angesichts der Erfahrung mit dem Aufwand, der bisher in Gießen für die Busbeschleunigung betrieben wurde, die Frage, wie schnell das gehen kann. Wright dazu: »Wir stehen in Gesprächen mit Stadtwerken und VGO.«

Steigende Verkehrslast für Ringallee und Ludwigstraße in Gießen durch Verkehrsversuch befürchtet

Fischer-Schlemm hält die von den Gutachtern unter anderem für Ringallee und Ludwigstraße genannten Zahlen für untertrieben und prognostiziert Ausweichverkehr jeweils in einer Größenordnung von 3000 bis 4000 Autos mehr pro Tag.

Wright verweist auf die von den Gutachtern durchgeführte Simulation, die für die Ringallee von 1000 zusätzlichen Fahrten und einer starken Verlagerung auf den Gießener Ring ausgeht. In die Köpfe von Autofahrern könne man natürlich nicht hineinschauen. In der Realität könnten sich daher Abweichungen gegenüber der Simulation ergeben, auf die man aber reagieren könne, erklärt Wright.

Verkehrsversuch in Gießen: Gutachterprozess »ergebnisoffen«

Angesichts der Tatsache, dass am Ende der Prüfung von Ausführungsvarianten für den Verkehrsversuch in etwa das empfohlen wurde, was Grüne, SPD und Gießener Linke Anfang März 2021 als Verkehrsversuch beschlossen hatten, legt Grünen-Politiker Wright auf die Feststellung wert, dass es keine politischen Vorgaben für die Gutachter gab: »Das war ein völlig ergebnisoffener Prozess. Das Ergebnis hätte auch lauten können, dass wir das gar nicht machen können.« (Burkhard Möller)

Erst kürzlich haben Gutachter zum Verkehrsversuch in Gießen festgestellt, dass durch mittlere Radspuren die Rettungswege für Einsatzfahrzeuge verkürzt werden.

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