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Kriminologe über Drogenbanden: „Tendenz geht in Deutschland zu brutaleren Umgangsformen“

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Von: Kays Al-Khanak

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Im Gießener Prozess gegen die Köpfe von Chemical Revolution vor zwei Jahren ist auch der Weg der Drogen von Südamerika über die Niederlande nach Deutschland Thema. © Kays Al-Khanak

Der Kriminologe Robin Hofmann ist Fachmann für organisierte Kriminalität und spricht im Interview über die Rolle der Niederlande im internationalen Drogenhandel, über Geldwäsche und kriminelle Strukturen in Deutschland.

Gießen - Der Strafrechtler und Kriminologe Dr. Robin Hofmann forscht und lehrt an der Uni Maastrich in den Niederlanden zur organisierten Kriminalität - also in einem Land, das zum Drehkreuz des internationalen Drogenhandels in Europa geworden ist. Hofmann spricht über die Rolle der organisierten Kriminalität im deutschen Nachbarland und erklärt, welche Schlussfolgerung der deutsche Staat und die Behörden aus den Erfahrungen in den Niederlanden ziehen sollten.

Herr Hofmann, die am Landgericht Gießen verurteilten Köpfe der Onlineplattform für Drogenhandel, Chemical Revolution, bezogen ihren Stoff aus den Niederlanden. Aktuell ist eine Gruppe angeklagt, die Verbindungen zu einem Clan in Montenegro haben und Drogen aus den Niederlanden besorgt haben soll. Was ist da los bei unseren Nachbarn?

Die Niederlande sind das zentrale Einfallstor für Drogen nach Europa. Das hat zum einen mit der geografischen Lage zu tun. Wir liegen sehr zentral, haben in Rotterdam einen sehr großen Hafen. Zum anderen ist über die Jahre hinweg eine Kultur gewachsen, in der man eine sehr liberale Einstellung zu Drogen hatte. Da geht es nicht nur um das sogenannte Nederweed, also das niederländische Cannabis, das hier angebaut und professionell europaweit vertrieben wird, sondern um alle Arten von Drogen.

Europol hat die Gefahr, die von niederländischen Drogenbanden ausgeht, mit denen des Terrorismus verglichen.

Ich sehe den Vergleich skeptisch, denn Terroristen haben eine ideologische Agenda. Bei Kriminellen geht es ums Geld. Allerdings stimmt dieser Vergleich, was die Brutalität angeht. Da haben wir in den Niederlanden ein Maß erreicht, das fast terroristische Züge hat. Wir sprechen von automatischen Waffen, die am hellichten Tag benutzt werden, um Rivalen zu bekämpfen, Wir sprechen davon, dass in Rotterdam seit Januar 50 Bombenanschläge verübt wurden.

„In Deutschland sind eher kriminelle Familienclans aktiv“

Welche Konsequenzen hat der niederländische Staat gezogen?

Es gab zwei Gamechanger: die Ermordung des InvestigativJournalisten Peter de Vries durch organisierte Kriminelle vor zwei Jahren und der Ermittlungserfolg durch gehackte Kryptohandys des Anbieters Encrochat. Nach der Ermordung von de Vries hatte sich zunächst eine gewisse Ratlosigkeit breit gemacht. Denn die niederländischen Ermittlungsbehörden hatten zuvor viel gemacht. Sie haben viel mehr Ermittlungsbefugnisse als ihre deutschen Kollegen. Und man hat die Finanzierung der Polizei aufgestockt. Ansonsten weiß man hier aber nicht genau, wie man das Problem in den Griff bekommen soll, obwohl es in den letzten Jahren immer weiter eskaliert.

Müssen wir uns in Deutschland auch bald auf Verhältnisse wie im Nachbarland einstellen?

Die haben wir ganz klar nicht - noch nicht. Das Maß an Brutalisierung, das wir in den Niederlanden und Schweden beobachten, ist in Deutschland noch nicht erreicht. Da gibt es verschiedene Gründe. Unter anderem sind in Deutschland eher kriminelle Familienclans aktiv. Es scheint so zu sein, dass dort Konfliktlösungsstrategien wie etwa das Friedensrichtersystem bestehen, dass man nicht gleich zur Maschinenpistole greift und die Rivalen erledigt. Das heißt aber nicht, dass es so bleiben wird. Was Auftragsmorde angeht, erkennen wir eine Steigerung in den vergangenen Jahren. Die Tendenz geht auch in Deutschland zu brutaleren Umgangsformen.

Zur Person

Dr. Robin Hofmann ist Strafrechtler und Kriminologe an der Universität Maastricht in den Niederlanden. Seine Forschungsinteressen liegen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden im Kampf gegen die transnationale Kriminalität und der Strafrechtsvergleichung.

Warum?

Zum Beispiel, weil der Drogenhandel gerade in Bezug auf Kokain einen großen Schub erhalten hat. Wir sprechen von märchenhaften Gewinnen. Da geht es um richtig viel Geld, und dementsprechend brutaler werden die Umgangsformen.

Kriminologe: „Man muss alle Beteiligten mit ins Boot nehmen“

Fachleute kritisieren, dass Deutschland zu wenig gegen Geldwäsche macht, beispielsweise im Immobiliensektor oder bei der Gründung von Geschäften. Wie kann der Staat dieses Dunkelfeld aufhellen?

Das ist ein wichtiges Thema: Bundeskanzler Olaf Scholz hatte im Wahlkampf von Deutschland als »Gangster’s Paradise« gesprochen, wenn es um Geldwäsche geht. Was nötig wäre, ist eine europäische Lösung, denn viele Geldwäschedelikte haben eine grenzüberschreitende Dimension. Und man muss alle Beteiligten mit ins Boot nehmen. Banken, Finanz- und Unternehmensberater, Notare, Anwälte, also die Profiteure, die ein Stück dazu beitragen, dass Geldwäsche funktioniert, muss man stärker in die Pflicht nehmen.

Mit Blick auf die internationale Zusammenarbeit wird die Rechtmäßigkeit von gehackten Krypto-Handys von Anwälten regelmäßig infrage gestellt.

An der Kritik ist was dran. Als Strafrechtler kann ich sagen, dass es mittlerweile höchstrichterliche Rechtsprechungen dazu gibt, die sagen, dass die Verwendung okay ist. Aber man muss differenzieren: Es hat einen Grund, warum die Niederlande maßgeblich bei den Encrochat-Ermittlungen mitgewirkt haben, weil die Datenschutzbestimmungen dort sehr viel niedriger als zum Beispiel in Deutschland sind. Wir sehen aber an den Niederlanden: Wenn das Problem der organisierten Kriminalität ein solches Ausmaß erreicht, dann kann man das nur noch bekämpfen, indem man Abstriche beim Datenschutz und beim Beschuldigtenschutz macht. Wir müssen uns in Deutschland fragen, ob wir uns das hohe Niveau des Datenschutzes noch über Jahre hinweg leisten können, wenn das Problem mit organisierter Kriminalität größer wird.

Ám heutigen Donnerstag, 4. Mai, hält Robin Hofmann einen Vortrag über das Thema. Dieser findet ab 18.15 Uhr im Hörsaal 5 auf dem Campus Recht & Wirtschaft in der Licher Straße 68 statt. (Kays Al-Khanak)

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