1. Gießener Allgemeine
  2. Gießen

Kompromisslose Hingabe

Erstellt:

Von: Sascha Jouini

Kommentare

khn_DSC_0079_060123_4c
Michael Vetter versetzt die Zuhörer in unterschiedliche Stimmungszustände. © Sascha Jouini

Gießen Das erste Mittwochskonzert in 2023 hatte einen doppelten Bezug zu Bautzen: Aus der ostsächsischen Kreisstadt stammt die »Perle der Empore« der Orgelbaufirma Hermann Eule. Dort wirkt Michael Vetter als Kantor in der Kirchgemeinde St. Petri. Vetter bot an der neuen Orgel ein denkwürdiges Konzert, das die zahlreichen Besucher in der Bonifatiuskirche so schnell nicht vergessen werden.

So versetzte sie das weihnachtliche Programm in unterschiedliche Stimmungszustände - von erhebenden, magisch-entrückten, meditativen bis hin zu erschütternden Momenten. Mal umschmeichelte einen die Musik sanft, dann schien sie den Boden unter den Füßen wegzureißen. In dieser Vielfalt kam die Ausdrucksbandbreite des Instruments zum Tragen.

Mächtiges Klangbild

Das Konzert begann konventionell mit Johann Sebastian Bachs Toccata F-Dur BWV 540. Über dem Orgelpunkt im Bass erhoben sich Harmonie verströmende Arabesken. Vetter wählte ein moderates Tempo und brachte die Musik in großer Ruhe zur Entfaltung. Das Bassfundament und die Brillanz in den Höhen sorgten für ein mächtiges Klangbild. Meisterhaft geriet die in bedächtiger Bewegung daherkommende Fuge. Da spielte ein Organist, der die Anmut der Musik für sich sprechen ließ und dem man intensive Auseinandersetzung mit den Eigenheiten des Instruments anmerkte.

Von der reinen Bach’schen Klangwelt hätte »Le verbe« aus Olivier Messiaens »La Nativité du Seigneur« (Die Geburt des Herrn), eine Meditation über Bibelverse, kaum weiter entfernt sein können. Die scharfen Akkorde mündeten in Passagen von existenzieller Wucht und mit abgrundtiefen Basslinien. Ganz anders der zweite Teil, der an eine in immer neuen Varianten gestellte philosophische Frage erinnerte; die Musik schwebte förmlich dahin und erlosch. Wieder zu Bach führten sechs Choralbearbeitungen aus dem »Orgelbüchlein«. Zwei Beispiele: In »Gelobet seist du, Jesu Christ« hob die zarte Registrierung den beschaulichen Charakter hervor. »Vom Himmel kam der Engel Schar« nahm die Hörer in weltenthobene Sphären mit. Die Skalen in den Mittelstimmen schienen das Auf- und Absteigen der Engel zu illustrieren; davon abgesetzt die Sopranmelodie. Der Symbolik spürte Vetter voller Fantasie nach. Das Klangpotenzial der Orgel schöpfte er souverän aus.

Kontrastbetonter Abschluss

Kammermusikalisch kam die Musik in Bachs »Wie schön leuchtet der Morgenstern« daher. Vetter unterstrich in seiner Interpretation »das stille Scheinen des Sterns«. Wie vorzüglich sich das Instrument auch für moderne Musik eignet, offenbarte sich in Messiaens »Les mages«, im Programmheft beschrieben als »sehr langsame, Karawanenzug-artige Meditation«. Einen kontrastbetonten Abschluss bildete dessen Komposition »Dieu parmi nous«. Selten breitet ein Konzert von gewöhnlicher Länge ein derartiges Panorama aus.

Für die kompromisslose Hingabe dankten die Besucher Vetter mit Beifall. Sascha Jouini

Auch interessant

Kommentare