1. Gießener Allgemeine
  2. Gießen

Koalition in Gießen streitet um Ehrung für Kommunistin

Erstellt:

Von: Burkhard Möller

Kommentare

moedrei_-B_150837_4c_1
In der Plockstraße erinnern »Gießener Köpfe« an Margarete Bieber (l.), Hedwig Burgheim und (nicht im Bild) Dr. Agnes von Zahn-Harnack. Nun könnte sich zu ihnen Ria Deeg gesellen. © Oliver Schepp

Soll eine Kommunistin wie Ria Deeg, die der Nazi-Diktatur widerstanden hat, im Gießener Stadtbild »sichtbar« geehrt werden? Der Streit über diese Frage ist neu entbrannt - innerhalb der grün-roten-Koalition.

Der antinazistische deutsche Widerstand, ganz gleich welcher Coulerur, gehört unumstößlich zum Gewissen unserer Welt«. Diesen Satz sagte der Historiker Dr. Axel Ulrich am 20. Juli 2007 bei einer Gedenkstunde in der Pankratiuskapelle. Gedacht wurde der Gießener Widerstandskämpferin Ria Deeg geb. Baitz, die damals 100 Jahre alt geworden wäre.

So »unumstößlich«, wie die Anerkennung für die im August 2000 verstorbene Kommunistin laut Ulrich sein sollte, ist sie aber nicht. Das hat am Donnerstag die Debatte im parlamentarischen Kulturausschuss gezeigt, dem die scheidende Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz (SPD) ein Gutachten zum Lebenswerk Deegs vorgelegt hatte.

Am Ende der mehr als eineinhalbstündigen und teilweise emotional geführten Debatte flogen sogar zwischen den Koalitionspartnern SPD und Grünen die Fetzen. Klar ist: Für eine weitere Ehrung Deegs, die nach einem einstimmigen Votum des Magistrats 1987 mit der Goldenen Ehrennadel der Stadt ausgezeichnet worden war, hat Grabe-Bolz keine Mehrheit gefunden, weil die Grünen nicht mitmachen. Deeg gebühre »alle Ehre« für ihren »riesigen Mut« während der Zeit des Nationalsozialismus, aber später habe sie nicht klar genug das in der DDR und UdSSR begangene Unrecht benannt. erklärte die Stadtverordnete Sophie Müller und fügte hinzu: »Wir tun uns als Fraktion schwer, dass Ria Deeg in der Reihe der Gießener Köpfe geehrt wird.«

Das von der Gießener Historikerin, früheren »Lio«-Lehrerin und SPD-Stadtverordneten Dr. Ulrike Krautheim federführend erstellte Gutachten, an dem der langjährige Grünen-Stadtrat und Politik-Professor Heinrich Brinkmann, Stadtarchivar Dr. Christian Pöpken sowie die Historiker Christine und Hans-Walter Schmidt mitgearbeitet haben, zeichnet ein differenziertes Bild von Deeg, die zwischen 1934 und 1938 vier Jahre lang in Nazi-Zuchthäusern saß und Zwangsarbeit leisten musste, weil sie unter anderem in Gießen illegale Flugblätter formuliert und verteilt hatte und wegen »Hochverrats« angeklagt wurde.

Diese Zeit gab auch ihren Lebenserinnerungen »Signale aus der Zelle« den Titel. Der Widerstand gegen das Nazi-Regime, dessen Ende sie in Steinbach erlebte, sei das »bekannteste und unumstrittene Kapitel« in Ria Deegs Leben gewesen, heißt es in dem 13-seitigen Gutachten.

Im Kontext der Debatte um die Ehrung Deegs mit einem »Gießener Kopf« oder einer Straßenbenennung stand stets ihr Engagement nach dem Krieg in der 1956 verbotenen KPD, für die sie im Stadtparlament saß, und später in der DDR-nahen Nachfolgepartei DKP im Mittelpunkt. Die CDU bezeichnete Deeg im Dezember vergangenen Jahres, nachdem sich die Straßenbenennungskommission mit knapper Mehrheit für eine Ehrung mit einem »Gießener Kopf« ausgesprochen hatte, in einer Pressemitteilung als »Unterstützerin des Stalinismus«, die das System der freiheitlichen Demokratie durch ihr Engagement in der verfassungsfeindlichen DKP »bekämpft« habe. Im Ausschuss bezeichnete sie die Stadtverordnete Christine Wagener gar als »glühende Anhängerin Stalins«.

Dieser Sichtweise widersprachen die Gutachter vehement. »Sie war weder auf dem linken Auge blind noch war sie eine Stalinistin«, sagte Brinkmann. Die Aussagen aus den Reihen der CDU, der FDP und auch »seiner« Grünen quittierte der Elder Statesmen mit Kopfschütteln und sprach von »vorurteilsbelasteten Urteilen«. Krautheim sagte, es gebe »manche Fragezeichen« im Nachkriegsleben Deegs, aber sie sei fraglos eine Demokratin gewesen; eine Frau »mit aufrechtem Gang, eloquent, gebildet und tolerant«. Sie verdiene es nicht, auf ihre Parteizugehörigkeit reduziert zu werden. Stadtarchivar Pöpken benannte eine ganze Reihe von Leumündern aus der Zeit um 1987, als Deeg die Goldene Ehrennadel erhielt, darunter auch das FDP-Urgestein Friedel Eidmann, der Deeg als Vorbild bezeichnet habe. Er sei zu Beginn der Recherche »zwiespältig« gewesen, sei aber zum Ergebnis gekommen, dass Deeg »ein Gießener Kopf ist. Warum sollte man sie dann nicht mit einem solchen ehren?«

Gerhard Merz (SPD), der 2015 im Stadtparlanent noch gegen einen »Gießener Kopf« für Deeg gestimmt hatte, erklärte, dass ihn das Gutachten zum Umdenken bewegt habe. Deeg sei »unstreitig eine Demokratin gewesen«, deren Widerstand gegen die Nazis gleichberechtigt neben dem des 20. Juli stehe. Am Putschversuch gegen Hitler seien viele Männer beteiligt gewesen, die zuvor in die Verbrechen der Nazis verstrickt gewesen seien und mit der parlamentarischen Demokratie nichts am Hut gehabt hätten.

FDP-Fraktionschef Dominik Erb kritisierte das Gutachten »aus den Reihen der Koalition« als »einseitigen« Versuch, eine »bekennende Kommunistin« zur »Heilsbringerin« umzufunktionieren. Zu diesem Zeit ging Erb offenbar noch davon aus, dass die Koalitionsmehrheit für den »Kopf« steht.

Befremdet von der Debatte zeigte sich Melanie Tepe (Gießener Linke): »Es ist schon seltsam, wie lange Ria Deeg auf diese Ehrung warten muss und wie lange es gedauert hat, bis ein Gebäude der Uni nicht mehr nach dem Faschisten Otto Eger benannt wird.«

Heftig knallte es, als sich die Grünen-Stadtverordnete Kerstin Gromes, die mit gut einstündiger Verspätung kam und das Gutachten offenbar nicht gelesen hatte, in die Diskussion einschaltete, indem sie von ihrem Smartphone ein Zitat aus dem Wikipedia-Artikel zu Deeg ablas, in dem sich die gebürtige Dutenhofenerin zu Karl Marx bekannte. Merz erregte sich: »Jetzt kommen Sie mit dem dümmsten aller Argumente. Es ist in Deutschland nicht verboten, Karl Marx für einen großen Philosophen zu halten. Es wäre besser gewesen, Sie hätten geschwiegen.« Wagener (CDU) empörte sich daraufhin »über die Art und Weise, wie Sie eine Kollegin abqualifizieren.«

Mangels Beschlussvorlage gab es keine Abstimmung. Das Stadtparlament wird sich mit dem Thema in seiner Sitzung am 16. Dezember nicht mehr befassen. FOTO: DKL

Auch interessant

Kommentare