Kleinod am Fuße des Schiffenbergs

Wenn man an einem Strang zieht, kommt meist Gutes heraus. Genau das haben sich naturengagierte Menschen aus verschiedenen Behörden, Institutionen und Gruppen vorgenommen. In gemeinsamer Initiative möchten sie den Akademischen Forstgarten Gießen am Fuße des Schiffenbergs wieder zum Leben erwecken - und an seine große Geschichte anknüpfen.
Verwunschen ist es hier, nur wenige Schritte vom Abzweig am Schiffenberger Weg entfernt. Zwei über 250 Jahre alte Eichen rauschen über den Köpfen - und könnten, wenn sie denn könnten, viel erzählen. Schon in drei Jahren ist es so weit: 2025 steht die Feier zum 200-jährigen Bestehen des Akademischen Forstgartens Gießen an. »Bis dahin haben wir noch viel zu tun - und wollen das auch«, bekräftigt Ralf Jäkel, Leiter des zuständigen Forstamtes Wettenberg, für Hessen Forst.
Jäkel ist sozusagen Hausherr des Geländes, eines fünf Hektar großen Areals mit über 200 heimischen und nicht heimischen Baumarten. Mit Revierförster Jörg Sennstock, dem Leiter des Amtes für Umwelt und Natur der Stadt Gießen, Gerd Hasselbach, und der Lokalen-Agenda-21-Gruppe »Natur und Umweltschutz« sieht Jäkel sich im Ziel vereint: »Wir wollen den Bürgern den Forstgarten mit seinen etwas in Vergessenheit geratenen Schätzen wieder zugänglicher machen, ihn mit verschiedenen Maßnahmen aufwerten.«
Dazu habe er zunächst den beiden Biologie-Studierenden der Justus-Liebig-Universität, Rieke Beckmann und Jeremy Meiss, zu danken. Vier Wochen lang haben sie im Rahmen eines Praktikums über das Umweltamt so gut wie jeden Tag in dem Waldstück verbracht, um 83 Baumarten, die Beachtung finden sollten, zu kartieren und mit Schildern zu versehen. Darauf finden sich neben Nummer und deutschem Namen auch der botanische Name und das eigentliche Herkunftsgebiet der Art. Zusätzlich haben sie zu jeder Art einen Entwurf für einen Steckbrief angefertigt und daraus einen QR-Code mit den wichtigsten Daten wie etwa Größe, Breite oder Nutzungsmöglichkeiten designed. Die nunmehr fertigen Plaketten mit den QR-Codes bringt Biologiestudentin Lea Schmidt nun an einem Stab vor den Bäumen an, wo jeder Besucher die weiterführenden Infos mit einem Smartphone abrufen kann - »kein Problem, der Empfang ist prima«, sagt Meiss. Alle Daten sind auch auf der Online-Seite des Forstamts Wettenberg zu finden. Spaß gemacht habe das alles, sagt Beckmann: »Ich war schon als Kind gerne hier und freue mich, dass ich nun einen Teil zur Aufwertung beitragen kann.« Das Geld für die Beschilderungsaktion kommt zur Hälfte von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, die andere Hälfte vom Forstamt, das sich über jede Unterstützung der Forstgartenarbeit durch Sponsoren freut.
Im Zuge des Klimawandels könne man nach Jäckels Aussage im Forstgarten beobachten und erforschen, welche heimischen und südländischen Bäume hitzeresistenter sind als andere - »so wichtig in einer Zeit, in der nach dem Trockenheitsschwund der Fichten nun die Buche mit ihrem 60-prozentigen Bestand in unseren Wäldern mit einer Rasanz stirbt, die wir uns niemals ausgemalt haben.«
Führungen geplant
Die 37 Schildchen mit zusätzlichem roten Rand bezeichnen die Arten, die man kennen sollte - »auch für Kindergärten und Schulen geeignet«, sagt Revierförster Sennstock, der in der Vergangenheit immer wieder mit Klassen im Gelände unterwegs gewesen ist. Auch Master- und Diplomarbeiten seien hier mitentstanden - ein Anknüpfungspunkt für Klimaforschung unter Realbedingungen, wie Sennstock findet. Im Übrigen wende man das Prinzip der nachhaltigen Forstwirtschaft, die Verjüngungstechnik bei der Durchforstung, wie sie in Gießen erst richtig entwickelt wurde, bis heute an. Auch im Forstgarten selbst, wo zu Beginn Baumgruppen gepflanzt wurden und in Konkurrenz traten, greife man lenkend ein und entnehme mit Augenmaß einzelne Beschatter. Bildung ist auch Hans-Joachim Grommelt wichtig, Sprecher der Agenda, die stets ihr Interesse am Forstgarten als Lebensraum für seltene Tier- und Pflanzenarten bekundet hat, sich an den konkreten Maßnahmen und Planungen zur Erhaltung und Aufwertung beteiligt und hier langfristig engagieren möchte. »Die Beschilderung beispielsweise soll helfen, diesen Platz als Ort der außerschulischen Bildung wahrzunehmen.« Außerdem gelte es, Rückschlüsse auf klimaresistente Arten zu ziehen - bei nicht heimischen wie bei den heimischen, »man denke nur an die starken Eichen hier oder die Elsbeeren«.
Förster Sennstock zählt weitere gemeinsame Aktionen auf. Kürzlich wurde der Teich abgelassen und entschlammt, der neu befüllt nun Amphibien anlocken soll. Der Pavillon wurde instand gesetzt. In der alten Kaffeehalle konnten früher zum Schiffenberg wandernde Ausflügler Kaffee und Kuchen genießen, der von der Förstersfrau feilgeboten wurde. Heute dient die Halle wieder als Treffpunkt, etwa für Ferienspielaktionen. Sukzessive soll der Forstgarten mit einer Eibenhecke umrandet werden, auch dort, wo der Weg vom Parkplatz »Am Forstgarten« im Wald am Gebiet vorbeiführt. Eines der nächsten Projekte ist eine Holzorgel, die im Holz- und Technikmuseum Wettenberg angefertigt wird und mit der Holzsorten im Anschnitt gezeigt werden sollen. Auch daran ist die Agenda-Gruppe beteiligt, unter anderem finanziell. Ab dem nächsten Jahr sind Führungen geplant, unterstützt von zwei Biologinnen. Dazu werden Flyer verteilt und auf der Forstamtsseite online abrufbar sein. Was Studentin Schmidt abschließend sagt, wünschen sich wohl alle: »Wenn man mal hier war, geht man ganz anders durch den Wald.«
