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Klatschmohn in der Krise

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Von: Christine Steines

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Bioläden stecken bundesweit in der Krise. Drastische Umsatzeinbußen sorgen für eine Schockstarre, sagt Georg Rieck, der Inhaber des Klatschmohn. Eine vergleichbare Situation hat es in den fast 45 Jahren des Bestehens nicht gegeben. »Ich bin fassungslos«, bekennt er. Dass er dennoch auf eine Zukunft für den Laden hofft, liegt an einem ganz besonderen Plan, der zurück zu den Wurzeln des Ladens führt.

Saisonangebote aus unserer Region, steht über den Kisten mit Lauch, Möhren und Brokkoli. Es kann sein, dass die Waren schnell verkauft werden. Es kann aber auch sein, dass sie liegen bleiben. Seit Anfang des Jahres, sagt Georg Rieck, der Inhaber des Bioladens Klatschmohn in der Neuen Bäue, ist das Käuferverhalten schwer vorhersehbar. Die Umsätze gingen um zehn bis 50 Prozent zurück, durchschnittlich verzeichnet er 13 Prozent weniger Einnahmen. Besonders betroffen sind die früher »leistungsstarken« Bereiche Fleisch sowie Obst und Gemüse.

Die Gründe sind nach Riecks Schilderung vielschichtig, aber letztlich auch nicht nur rational erklärbar. »Wir haben so etwas noch nicht erlebt«, sagt er. Die Preissteigerung der Lebensmittel sei im Klatschmohn beispielsweise deutlich weniger gravierend als bei den Eigenmarken der Discounter. »Gefühlt« sehe dies jedoch anders aus. Offenbar träfen viele Verbraucher die Entscheidung, an Bioprodukten zu sparen, weil ihnen diese in Zeiten drohender Kostenexplosion als entbehrlicher Luxus erschienen. »Das ist fatal«, sagt Rieck, denn die nachhaltige Ökolandwirtschaft sei unsere Zukunft.

Die Ursache lasse sich nicht nur auf Inflation und Krieg zurückführen, erklärt der Bundesverband Naturkost Naturwaren. Nach der Hochzeit der Pandemie gäben viele Menschen nun ihr Geld eher in der Gastronomie und für Reisen aus.

Während viele Bioläden in den Lockdowns Riesenumsätze gemacht haben, weil sich die Verbraucher mit gesunder Ernährung befasst und viel zu Hause gekocht haben, war dies im Klatschmohn nicht der Fall. »Die Innenstadt war tot, es gab kaum eine Motivation, hierher zu kommen«, schildert der Inhaber.

Davon habe sich sein Laden nicht wieder erholt. Zweifellos macht dem Urbioladen auch zu schaffen, dass es mittlerweile auch bei Rewe, Edeka und sogar in den Discountern Bioprodukte gebe. Dort zu kaufen, das räumt Rieck ein, sei oftmals der bequemere Weg. Klatschmohn habe in Sachen Bioprodukte längst sein Alleinstellungsmerkmal verloren. Rieck ist frustriert über die allgemeine Entwicklung, dennoch wünscht er sich eine Zukunft für sein Geschäft. Dafür müssten aber jüngere Menschen mit innovativen Ideen neue Wege gehen. Der 65-Jährige plant, sich in Kürze aus der Firma zurückzuziehen. Ideal wäre es in seinen Augen, wenn er sie in eine Genossenschaft oder einen Verein überführen könnte. Konkrete Verhandlungen mit Interessenten gebe es bereits. »Ich möchte den Laden gerne an die Stadtgesellschaft übergeben«, sagt Rieck. »Ich bin immer noch Sozialromantiker«, fügt er selbstironisch hinzu.

Tatsächlich schlösse sich mit einer solchen Lösung ein Kreis, denn der Ursprung des Klatschmohn war ein Projekt, in dem sich laut Rieck 1978 idealistische, aber in kaufmännischer Hinsicht ahnungslose Studierende zusammenschlossen, um der konventionellen Landwirtschaft und der industrialisierten Lebensmittelherstellung etwas entgegenzusetzen. Die Idee wurde zur Erfolgsgeschichte: Dem 18 Quadratmeter kleinen Lädchen in der Ludwigstraße folgte ein größerer Laden in der Neustadt, bis 2002 schließlich das 400 Quadratmeter große Geschäft mit Vollsortiment inklusive Bistro eröffnet wurde. »Nun ist es offenbar wieder Zeit für neue Wege«, sagt Rieck.

Klatschmohn sei Mittelpunkt eines regionalen Netzes von Produzenten und Zulieferern, also genau das, was kommunale Entwickler forderten. Diese Position könne man nutzen und ausbauen, ist sich Rieck sicher. Der Unternehmer und Agraringenieur hat sich gemeinsam mit anderen Vertretern der Bio-Lieferkette zur hessischen Allianz für die Agrar- und Ernährungswende zusammengeschlossen. Deren Ziel ist es, den regionalen Ökolandbau zu stärken. Rieck: »Eine Kaufentscheidung im Biomarkt stabilisiert auch die wirtschaftliche Situation der Biohöfe.«

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