Kinder unter Druck

Wer Kinder im Grundschulalter hat, der kennt das: Vor dem Wechsel auf die weiterführende Schule ist der Leistungsdruck groß. Darum geht es im Stück von Fabienne Dür, das sie im Auftrag des Stadttheaters für Kinder ab neun Jahren geschrieben hat. Der Titel nimmt Bezug auf das, was Viertklässler oft zu hören bekommen: da sei noch »Luft nach oben«.
FOTO: SENGER
Vor dem Betreten des Saals im Kleinen Haus des Stadttheaters werden die Besucher gebeten, ihre Schuhe auszuziehen. Und das hat einen guten Grund, denn das Bühnenbild von Lili Süper, das sie für den Stückauftrag »Luft nach oben« von Fabienne Dür entworfen hat, bezieht auch den Bühnenboden mit ein. Straßenzüge und Pflanzen sind dort im Außenbereich aufgemalt, die Zuschauer sitzen auf Stühlen und Sitzkissen im von einem Fadenvorhang und Bodenmalereien umgebenen Hexagon rund um ein Platinen-Podest. Spielszenen von außerhalb werden live auf das Innere der weißen Fadenwand projiziert. Schüler-Realität und Videospiel-Fiktion verschwimmen miteinander.
Notendruck und Uraufführung
So ist es auch im Leben der drei Viertklässler Sop, Kar und Fri, von denen das Stück erzählt und die Izabella Radic, Dascha Ivanova und Stephan Hirschpointner vom Ensemble Junges Theater in der Uraufführung mit viel Verve spielen. In der Schule sollen sie Leistung bringen, damit es auch ja klappt mit der Em-pfehlung fürs Gymnasium. Doch welche Schule soll es sein? Können Noten und Sozialkompetenz nicht noch ein bisschen verbessert werden? Und vor allem, auf welchen Beruf soll ihr Leben hinsteuern? Der Leistungsdruck - aber auch die als ernsthaftes Problem wahrgenommene Frage nach ihren Zukunftsplänen - hat die drei Freunde fest im Griff. Und dabei sind sie doch noch Kinder. Fast droht an diesem Druck auch ihre Freundschaft zu zerbrechen: Konkurrenz und Neid entstehen, sie machen sich gegenseitig Vorwürfe. Nur beim gemeinsamen Zocken können sie ein Team von Heldinnen und Helden sein, Hindernisse überwinden und mit ihren imaginären Zauberkräften punkten. Und so wird aus Sop, der strebsamen Lieblingsschülerin von Frau Besserwisser und Tochter aus einem Akademikerhaushalt, in dem »schon immer alle aufs Gymnasium gegangen sind«, die mutige »Invisible Sop«. Aus Kar, dessen alleinerziehende Mutter in der Schule putzt und der am liebsten Gamedesigner oder Profizocker werden will, wird der turboschnelle »Amazing Carbon Car«. Auch die quirlige Fri, die zwar eine große Klappe, aber nur wenig Selbstbewusstsein und vor allem nicht den Hauch einer Ahnung hat, was sie einmal werden will, verwandelt sich in die löwenartige Videospielheldin »Frinx« und öffnet mit ihrem Gebrüll auf der Jagd nach dem »Endboss« Türen.
Mit der Ästhetik eines Videospiels
Immer wieder springen die drei Freunde zwischen Realität und Videogame-Fantasien hin und her. Wer als erwachsener Zuschauer das Dauerzocken des eigenen Nachwuchses argwöhnisch betrachtet, kann hier erkennen, dass diese Form des Eskapismus auch durchaus Ventilwirkung haben kann.
Kar, Sop und Fri filmen sich bei ihren virtuellen Abenteuern. Ihre Gesichter erscheinen riesengroß auf dem Fadenvorhang. Und der von Izabella Radic designte Klangteppich sorgt dafür, dass sich auch die Zuschauer im Kinderalter, vor allem diejenigen, die beim Satz »Gamedesigner ist doch kein Beruf!« laut wissend auflachen, sofort mittendrin fühlen. Die Regie von Yesim Keim Schaub sowie die Hinguckerbühne und -kostüme von Lili Süper - beide wurden Mitte der 90er Jahre in Bremen geboren und sind Mitbegründerinnen des f.e.t.t. kollektiv, eines jungen interdisziplinären Theaterkollektivs - schaffen es, das Publikum im Grundschulalter von Beginn an abzuholen. Durch die Videospielästhetik, aber auch den kindgerechten Text von Fabienne Dür wird genau jene Zielgruppe erreicht, die dem Kindertheater entwachsen ist, aber mit den Pubertätsthemen des Jugendtheaters noch nicht wirklich etwas anfangen kann.
Ein bisschen bessere Ausleuchtung der Schauspielergesichter wäre angesagt gewesen. Und auch das Problem der runden Bühne, auf der oft in die »falsche« Richtung gesprochen wird, besteht. Aber ansonsten bleibt bei dieser Uraufführung nicht mehr viel »Luft nach oben«. Wer sich selbst einen Eindruck verschaffen will, hat viele Möglichkeiten: Weitere Vorführungen folgen am 3. (15 Uhr), 9. (16 Uhr) und 15. Oktober (16 Uhr), 14. (10.30 Uhr), 19. (15 Uhr), 25. (10.30 Uhr) und 26. November (15 Uhr) sowie am 3. und 4. Dezember (jeweils 16 Uhr).