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»Keine Maximalforderungen mehr«

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Von: Marc Schäfer

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Die fehlende Zukunftssicherheit setzt den Mitarbeitenden am UKGM zu. © Oliver Schepp

Prof. Werner Seeger, der Ärztliche Geschäftsführer des Universitätsklinikums Gießen-Marburg, appelliert im GAZ-Interview an Asklepios/Rhön und das Land Hessen, sich von Maximalforderungen zu trennen und einen fairen Kompromiss anzustreben. Bliebe eine Einigung für ein neues Zukunftspapier aus, würde die »schon eingetretene ruinöse Entwicklung des UKGM weiterverschärft«.

Wie ist die Stimmung unter den Mitarbeitenden am UKGM in Gießen?

Aus mehreren Gründen ist die Situation sehr angespannt. Zum einen ist nach fast drei Jahren Corona-Pandemie, verbunden mit der Versorgung auch aller anderen schwer und schwerstkranken Patienten, so etwas wie ein Erschöpfungszustand eingetreten. Hieraus resultiert eine hohe Krankheitsquote, welche an allen Kliniken zu beobachten ist, und welche natürlich die Arbeitsdichte der verbleibenden Mitarbeitenden weiter erhöht. Zudem haben wir trotz aller Anwerbungen aus dem In- und Ausland weiterhin viele unbesetzte Stellen im Pflege- und Funktionsdienst, weil viele Mitarbeitende dieses Berufsfeld verlassen. Das verschärft die Problematik weiter. Hinzu kommt, dass auch alle anderen Krankenhäuser der Region gleiche Probleme haben, was zu Abmeldungen von der Versorgung führt. Die daraus resultierenden Noteinweisungen werden in den allermeisten Fällen dem UKGM zugewiesen. Wir tragen somit trotz aller Widrigkeiten die absolute Hauptlast der Versorgung kritisch kranker Patienten in der gesamten mittelhessischen Region.

Und dazukommt die Sorge über die Zukunft?

Ja, als wäre das Geschilderte nicht genug, herrscht das fatale Gefühl der fehlenden Zukunftssicherheit, weil die UKGM-Gesellschafter Asklepios/Rhön und das Land Hessen bislang keinen tragfähigen Kompromiss zur Zukunftsgestaltung unseres Klinikums gefunden haben.

Können Sie die Sorgen der Mitarbeitenden teilen? Und in diesem Zuge auch den abermaligen Streik am UKGM nachvollziehen?

Aus den genannten Gründen kann ich natürlich die Sorgen verstehen. Wie die allermeisten Mitarbeitenden versuche ich aber, diesen Widrigkeiten ein »trotzdem« entgegenzusetzen: trotzdem jeden Tag seine Aufgaben so gut wie möglich zu erfüllen, trotzdem alles zu tun, um den uns anvertrauten Patienten gerecht zu werden, trotzdem eine positive Ausstrahlung zu behalten, die auch anderen helfen mag, diese belastende Krise zu überwinden. Und ja, soweit der Streik das letzte Mittel des Aufschreiens ist, dass doch Asklepios/Rhön und das Land endlich ihrer Pflicht nachkommen, eine zukunftsfeste Vereinbarung für das UKGM zu schließen, kann ich auch das nachvollziehen. Die Symbolik eines solchen Streiks darf aber niemals so viele Ressourcen binden, dass Patienten gefährdet würden.

Ist es richtig, dass Mitarbeitende auch aufgrund der unsicheren Zukunft das UKGM bereits verlassen haben?

Im Einzelfall kommen wahrscheinlich immer verschiedene Motivationen zusammen, aber die beschriebene Unsicherheit ist in diesem Zusammenhang sicher ein wichtiger Faktor. Auch wenn er sich nicht genau beziffern lässt. Besonders betroffen davon ist der Pflege- und Funktionsbereich, aber auch Arbeitsbereiche wie die Sterilisationseinheit und das Materiallager, ohne die ein hochkomplexes und arbeitsteiliges Klinikum nicht funktionieren kann.

Was können Sie als Ärztlicher Geschäftsführer über den Stand der Verhandlungen zwischen Asklepios/Rhön und dem Land Hessen sagen?

Das absolute »Nichtmehrverhandeln« hat leider viel zu lange gedauert! Jetzt sind alle Beteiligten in der Pflicht, in gemeinsamer Anstrengung und mit der Bereitschaft zu einem fairen Kompromiss noch vor Jahresende eine konkrete Lösung zu vereinbaren. Sonst drohen gravierende weitere Verluste und Nachteile. Es darf auf beiden Seiten kein Festhalten an den Maximalforderungen um jeden Preis geben, weil ansonsten die schon eingetretene ruinöse Entwicklung des UKGM weiter verschärft würde.

Glauben Sie noch an eine »gute« Einigung?

Ich bin Christ, von Natur aus eher Optimist, und Weihnachten steht vor der Tür. Ich mag einfach nicht glauben, dass die Verantwortlichen dieser Verhandlungen Weihnachten in den Spiegel schauen wollen in dem Bewusstsein, für einen Scherbenhaufen verantwortlich zu sein.

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